Reportagen, Essays, Hintergründe (Auswahl)

Wider die überflüssigen Dinge

Am Morgen, wenn die Millionenstadt erwacht und die U-Bahnen sich überfüllen, kommen nicht nur die Angestellten in Anzug und Krawatte oder dezentem Kostüm aus den Mittelklasse-Vierteln ins Zentrum von Santiago de Chile. Auch schlecht gekleidete Leute drängen sich in den Zügen. Sie kommen von weit draußen, vom Stadtrand, wo die Mietskasernen an heruntergekommene Plattenbauten aus Sowjetzeiten erinnern…

Im siebten Kreis der Hölle

Im Volksmund heißt das Gefängnis „Mariona“, nach dem Stadtteil am Rand von San Salvador, in dem es steht. Sein offizieller Name ist „Penitenciaría Central de La Esperanza“ – „Zentrale Strafanstalt der Hoffnung“. Man kann das auch als zynisch empfinden. Wer hier hereinkommt, lässt alle Hoffnung fahren. Draußen auf der Straße steht alle paar Meter ein Soldat in Tarnuniform in der brütenden Hitze, eine Sturmhaube…

Seit über hundert Jahren herrscht Krieg

Es war eine laue Sommernacht, sternenklar. Eine Stunde nach Mitternacht schlich eine Gruppe von jungen Männern auf das Haus von Werner Luchsinger zu. Die Ermittlungen gingen später von bis zu zwanzig Tätern aus. Das Haus steht auf dem vierzig Hektar großen Landgut Lumahue, abgeschieden ein paar Kilometer außerhalb von Vilcún im Süden Chiles. Man muss es kennen, sonst findet man es nicht. Auf Schotterpisten und Erdwegen…

Den Knochen einen Namen geben

Die jüngste Lieferung war ein Alptraum. Es enthielt eine Hand voll Kohlestückchen in einer Plastiktüte, keines größer als zwei Zentimeter. Laien könnten das für ein Überbleibsel einer Grillparty halten. Sofía Egaña ist forensische Anthropologin und weiß: es sind Knochenreste. Das, was von einem politischen Gefangenen übrig blieb. Oder war es eine politische Gefangene? Oder waren es mehrere?…

Herr Clinton baut Haiti auf

Erdbeben kommen nicht auf Bestellung und trotzdem gibt es immer irgend einen, der darauf vorbereitet ist. Das Beben, das am 12. Januar 2010 um 16:53 Ortszeit die haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince erschütterte, rund 300.000 Menschen tötete und fast zwei Millionen obdachlos machte, das hatte wirklich niemand erwartet. Über hundert Jahre hatte sich die Erde hier nicht mehr nennenswert bewegt…

Der Ort der Zuflucht versinkt im Meer

Im November beginnt die schlimme Zeit. Dann kommt der Wind aus dem Norden, drückt das Wasser gegen die Insel, wird zum Sturm und fegt die auf Stelzen ins Meer hinaus gebauten Klohäuschen aus Palmstroh oder Zinkblech weg. Die Wellen brechen große Lücken in die mühsam errichteten Barrieren aus gebrochenen Korallen. Dann steht Gardi Muladup unter Wasser…

Ein Gift, das an die Nieren geht

Auf den ersten Blick sieht Dennis Osorio nicht aus wie ein Mann im letzten Stadium einer tödlichen Krankheit. Dreißig Jahre alt ist er und kräftig. Er liegt auf dem Bett, nur mit einer Sporthose bekleidet. Ein breiter Brustkorb, feste Arme und Beine. Seine eine Hand berührt den Rosenkranz aus Plastik, den er um den Hals trägt. Die andere hängt über den Bettrand hinaus und sucht grapschend den Arm seiner dort sitzenden Schwester Ana María…

Wie der Nestlé-Arbeiter Luciano Romero ermordet wurde

Eigentlich wollte Luciano Romero seine Frau am Abend nicht alleine zu Hause lassen. Er wollte nicht arbeiten, sondern sein Taxi, einen gelben Chevrolet Sprint mit dem Nummernschild UWQ-473, einfach eine Nacht vor dem Haus stehen lassen. Seine Frau Ledys Mendoza hatte am Tag eine kleine ambulante Operation gehabt. Luciano hatte sie ins Krankenhaus begleitet. «Als wir am Nachmittag nach Hause kamen», erzählt Ledys Mendoza,…

Leben und Sterben in Ciudad Juárez

Ciudad Juárez ist eine Stadt, die es nicht geben sollte. Zumindest nicht so, als Welthauptstadt des Verbrechens. 2008 gab es rund 1.000 Morde, 2009 waren es gut 2.000 und im vergangenen Jahr über 3.000. Und das in einer Stadt mit gerade 1,3 Millionen Einwohnern. Statistisch gesehen sind Bagdad oder Kabul im Vergleich dazu sichere Orte. Und nichts deutet darauf hin, dass es 2011 besser werden könnte. Wer geht da schon gerne hin?…

Billiger als ein Suppenhuhn

Das Treffen war wenig spektakulär und doch sind seine Folgen ein paar Tage später weltweit durch die Presse gegangen: Am 28. Januar sind sich Maletide Fenelon und Laura Silsby im Armenviertel Mais Gaté zum ersten Mal begegnet. Das war genau zwei Wochen nach dem schweren Erdbeben in Haiti. Maletide Fenelon ist Haitianerin, Mutter von vier Mädchen. Sie wohnt in dem Viertel am Rand von Port-au-Prince…