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Billiger als ein Suppenhuhn

Billiger als ein Suppenhuhn

Wie 33 haitianische Kinder von ihren Eltern an zwielichtige Baptisten aus den USA übergeben wurden. Wie deren Versuch, in den Adoptionshandel einzusteigen, scheiterte. Und warum letztlich trotzdem niemand bestraft wurde. Von Toni Keppeler.

Das Treffen war wenig spektakulär und doch sind seine Folgen ein  paar Tage später weltweit durch die Presse gegangen: Am 28. Januar sind sich Maletide Fenelon und Laura Silsby im Armenviertel Mais Gaté zum ersten Mal begegnet. Das war genau zwei Wochen nach dem schweren Erdbeben in Haiti. Maletide Fenelon ist Haitianerin, Mutter von vier Mädchen. Sie wohnt in dem Viertel am Rand von Port-au-Prince. Laura Silsby kommt aus dem Städtchen Meridian im US-Bundesstaat Idaho. Am Tag nach dem Treffen mit Fenelon kam sie wieder und holte deren vier Mädchen ab. Sie wollte sie illegal über die Grenzen in die Dominikanische Republik bringen und dort zusammen mit 29 weiteren haitianischen Kindern zur Adoption anbieten. Der Fall machte Schlagzeilen.

Es gibt in Port-au-Prince schlimmere Elendsviertel als Mais Gaté. Mehr als jedes zweite Haus hat dort die Erschütterungen des Erdbebens vom 12. Januar halbwegs überstanden. Das Viertel liegt gleich gegenüber des internationalen Flughafens auf einem Hügel. Schmale Erdstraßen führen zwischen den aneinander geklebten Häuschen aus Hohlblocksteinen hindurch, steil und verwinkelt. Jetzt, in der karibischen Regenzeit, werden sie zu Schlammrutschen und man braucht ein gutes, allradgetiebenes Geländefahrzeug, wenn man hinaufkommen will. Immer wieder sind die Sträßchen zu kaum noch von Autos passierbaren Pfaden verengt, weil die Menschen den Erdbebenschutt von ihren Grundstücken einfach am Straßenrand abladen. Noch schmalere Gassen führen in steilen Stichen zu den Häusern. Wenn sich zwei Menschen entgegenkommen, muss sich einer an die Wand pressen, um den anderen vorbeizulassen. Ganz oben auf dem Hügel blickt man hinab auf ein fast endloses Meer von rostigen Wellblechdächern.

Maletide Fenelon wohnt in einer dieser schmalen steilen Gassen. Sie ist klein und schmal und schwarz. Sie trägt einen Jeansrock und eine gelbe Bluse mit großen aufgedruckten Mustern. Um den Kopf hat sie ein buntes Tuch gewickelt. Die jüngste ihrer Töchter ist jetzt ein gutes halbes Jahr alt, die älteste acht Jahre. Fenelon ist 29. Als sie Laura Silsby traf, hat sie ihr einfach so ihre vier Kinder gegeben. Sie sagt: „Ich hatte Vertrauen. Sie kam mit einem Prediger.“ Dass Silsby eine Kinderhändlerin sein könnte, daran habe sie keine Sekunde gedacht.

Laura Silsby sagt, sie sei keine Kinderhändlerin, sondern eine gottesfürchtige Baptistin, die nur ein gutes Werk habe tun wollen. Die 40-Jährige ist blass und blond und etwas untersetzt. Sie ist aus den USA nach Haiti gekommen, mit ihrem 24-jährigen ehemaligen Hausmädchen Charisa Coulter und acht weiteren Baptisten; zusammen fünf Frauen und fünf Männer. Zu Hause in Meridian im Bundesstaat Idaho hatte Silsby Probleme. Sie hatte sich in mehreren kleinen Dienstleistungsfirmen versucht und war immer wieder gescheitert. Zuletzt hatte sie einen Online-Shop. Zwölf Verfahren laufen in Meridian gegen sie, weil sie ihren Angestellten die Löhne nicht bezahlt hat. Die Bank hat ihre Geschäftskonten gesperrt.

Ende vergangenen Jahres hatte Silsby eine neue Idee: zusammen mit Coulter gründete sie einen Wohltätigkeitsverein, das New Life Children’s Refuge. Das Ziel: „Waisen und verlassene arme Kinder aus Haiti und der Dominikanischen Republik zu retten, zu lieben und zu versorgen.“ Im November ließ sie das kleine private Hilfswerk registrieren. Als Adresse gab sie ein noch nicht ganz fertig gestelltes Haus an, das ihr damals gehörte. Zwei Tage nach der Registrierung verkaufte sie es unter großen Verlusten. Ihre eigene und die nachbarliche Baptistengemeinde in Twin Falls überredete sie, ihr 7000 Dollar vorzustrecken. Sie reiste mit Coulter in die Dominikanische Republik und bereitete dort alles vor. Die acht weiteren Baptisten sollten später dazustoßen.

Bürgermeister Aniceto Balbucua im Dorf Villa Magante an der nördlichen Küste der Dominikanischen Republik erinnert sich noch daran, dass Anfang Januar zwei Frauen aus den USA zu ihm gekommen waren, um Land für ein Waisenhaus zu kaufen. Aber die Idee habe sich wieder zerschlagen, weil es irgendwelche rechtlichen Probleme gegeben habe. Dann kam am 12. Januar das Erdbeben über Port-au-Prince und alles ging sehr schnell. Silsby und Coulter mieteten im nahe bei Villa Magante liegenden Küstenstädtchen Cabarete ein aufgelassenes Hotel mit 45 Zimmern an. Auf der Internet-Seite des New Life Children’s Refuge wurde die „Gelegenheit für Adoptionen“ angeboten, „für liebende christliche Eltern, die ansonsten keine Möglichkeit hätten, eine Adoption genehmigt zu bekommen“. Im Klartext heißt das: Hier wird nicht viel gefragt, hier wird nur Geld verlangt. Die „Gebühren“ in diesem Geschäft beginnen nach den Erfahrungen von Kinderschutzorganisationen bei rund 10.000 US-Dollar pro Kind und können bis zu einem Vielfachen wachsen. Die Kinder, pries die Internet-Seite, lebten in einem schönen Anwesen mit Schwimmbad und Fußballplatz. Für adoptionswillige Paare stünden kleine Bungalows in Strandnähe bereit. Dort könnten sie die 60 bis 90 Tage abwarten, die für die rechtlichen Formalitäten gebraucht würden.

Aus Idaho flogen die acht weiteren Baptisten ein. Sie waren wahrscheinlich so verblendet wie ahnungslos und glaubten wirklich, sie würden ein gutes Werk tun. Auf ihrem Reiseprogramm stand für den 23. Januar: „Fahrt mit dem Bus von Santo Domingo nach Port-au-Prince, Haiti. 100 Waisen auf den Straßen und in eingestürzten Waisenhäusern einsammeln. Dann Rückkehr in die Dominikanische Republik.“ Keiner der Waisensammler verstand das in Haiti gesprochene Kreol. Doch Silsby hatte einen ortkundigen Helfer: den Baptisten-Prediger Jean Sanbil, einen gebürtigen Haitianer, der in den USA für das „geistliche Amt des geteilten Jesus“ arbeitete.

Es war am Nachmittag des 28. Januar, als Laura Silsby zusammen mit Jean Sanbil bei Maletide Fenelon in Mais Gaté zu Besuch war. Fenelon ist nicht die ärmste der Armen. Ihr Mann arbeitet in einer Akkordnäherei und verdient am Tag 200 Gourdes, umgerechnet nicht ganz vier Euro. Für ihr Häuschen bezahlt die Familie knapp 250 Euro Miete im Jahr. Zwei kleine dunkle Zimmerchen. Zwei Stühle, eine grobe Bank und ein Tisch. Die Matratzen zum Schlafen sind in der Ecke zusammengerollt. Mehr gibt es nicht an Mobiliar. Der Abtritt und die Küche sind in einem Minihof. Doch immerhin: Es ist ein Haus und es steht. Beim Erdbeben hat es nur ein paar mächtige Risse abbekommen, aber es wirkt noch immer sicher. Und eines ist ganz sicher: Maletide Fenelons vier Mädchen sind keine Waisen.

Fenelon ging an jenem Nachmittag die Gasse hinauf zur Durchgangsstraße. Nachbarn hatten sie eingeladen, weil dort eine kleine Versammlung mit einem Baptistenprediger stattfinden sollte, ganz ungezwungen und improvisiert. Er wolle den Kindern im Stadtviertel helfen. Der Pastor war Haitianer und sprach, wie die Leute in Mais Gaté sprechen. „E hats viel Leid und Schmerz und Schmerz gegeben in Haiti, wegen der vielen Toten. Viele Familien mussten ihre Kinder in ein Massengrab werfen.“ Aber den Kindern, die überlebt haben, für die solle es eine bessere Zukunft geben. Maletide Fenelon hat beim Erdbeben keine Verwandten verloren. Sie leben alle auf dem Land, weit weg von Port-au-Prince. Aber seit dem Beben war auch für sie alles noch viel schwerer geworden. Die Lebensmittelpreise waren explodiert und der Lohn ihres Mannes reichte nicht mehr fürs Essen. Ja, sie wollte eine bessere Zukunft für ihre Kinder. „Der Pastor sagte, sie würden die Kinder erst in die Dominikanische Republik bringen und dann in die USA. Wir Eltern würden alle ein Visum bekommen und könnten sie dort immer besuchen.“ Die weiße Frau wollte am nächsten Tag wiederkommen und die vier Mädchen abholen. Spielte auch Geld eine Rolle? „Nein“, sagt Fenelon. „Bezahlt worden bin ich nicht.“ Doch ihre Nachbarinnen behaupten: „Das ist die Frau, die ihre Kinder verkauft hat.“

Am nächsten Morgen kam ein Bus nach Mais Gaté. Silsby, Pastor Sanbil und noch ein paar weiße Männer und Frauen. Sie holten die vier Töchter von Fenelon. Auch eine Nachbarin gab vier ihrer fünf Kinder in die Obhut der Baptisten. Als der Bus schon wegfahren wollte, kam noch eine Mutter angerannt mit zwei kleinen Kindern an den Händen. „Nehmt sie auch mit“, hat sie verzweifelt gerufen. Aber es war kein Platz mehr im Bus. Am nächsten Tag erfuhr Fenelon aus dem Radio, dass die Baptisten mit 33 Kindern an der Grenze zur Dominikanischen Republik von der Polzei aufgehalten worden waren.

Georg Willeit erinnert sich an diesen 30. Januar genau. „Um die Mittagszeit bekamen wir einen Anruf vom staatlichen Sozialinstitut. Am späten Nachmittag kamen dann auch schon die Kinder.“ Willeit ist Nothilfe-Koordinator des SOS-Kinderdorfes in Santo, einem fast schon ländlich anmutenden Außenbezirk von Port-au-Prince. Das weitläufige Dorf aus eingeschossigen Ein-Familien-Häusern in einer fast parkartigen Anlage hat das Beben ohne Schaden überstanden. Gleich danach wurde ein internationales Hilfsteam aus anderen Dörfern zusammengezogen, um 300 Kinder aufzunehmen, die ohne Begleitung von Erwachsenen aufgegriffen worden waren. Sie sollen so lange bleiben und versorgt werden, bis ihre Angehörigen ausfindig gemacht werden. Auf 33 mehr kam es da auch nicht mehr an.

Als die Kinder ankamen, hatten sie eine Nacht im Bus verbracht. Sie waren hungrig und durstig und manche hatten nicht einmal ein Hemd an. Ein Mädchen weinte und schrie: „Ich bin keine Waise. Ich habe noch Eltern.“ Das war Dienlanda Desilien, die älteste Tochter von Maletide Fenelon. Die Kinder wurden von Rotkreuzlern untersucht, ein Baby musste sofort ins Krankenhaus. „Es war völlig dehydriert. Es hätte die Nacht wohl kaum überstanden“, konstatiert Georg Willeit.

Keines der Kinder hatte Papiere dabei, aber ein paar die Mobiltelefonnummer der Eltern. So hatten die Sozialarbeiter im Kinderdorf eine erste Spur. „Ein paar der Kinder glaubten, sie führen in ein Sommercamp“, weiß Willeit. „Andere dachten, sie kämen in ein Internat, weil ihre Schule zusammengefallen war. Aber einige haben sehr wohl gemerkt, dass ihre Eltern sie weggegeben hatten und sie ihr Zuhause nie wiedersehen würden.“ Eltern nämlich hatten sie alle. Kein einziges Waisenkind war dabei.

„Als ich meine Kinder das erste Mal im Dorf besuchen wollte, haben sie mich nicht reingelassen“, erzählt Fenelon. „Danach habe ich sie zwei Mal sehen dürfen, erst dann habe ich sie wieder bekommen.“ Die Sozialbehörden wollten zunächst die Situation der Familien überprüfen, die Psychologen des Dorfs sprachen mit Müttern und Kindern. „Wir wollten sicher sein, dass die 33 nicht gleich im nächsten Bus in die Dominikanische Republik sitzen“, sagt Willeit.

Zunächst aber kam die erste Nacht. Spannung lag über dem Dorf. „Es war die einzige Nacht, in der ich Angst hatte“, erinnert sich Willeit noch heute. „Wir wussten nicht, welche Organisation hinter dieser Verschleppung steckt und ob sie nicht kommen würden, um die Kinder zu holen und andere vielleicht gleich mit dazu.“ In dieser Nacht wurden alle Zugänge zum eingezäunten Dorf verrammelt. Der gesammte Fuhrpark wurde hinter die Tore gestellt, so dass man diese von außen nicht aufdrücken konnte. Aber es passierte nichts. Laura Silsby und ihre neun Gehilfen saßen in den Zellen einer Polizeistation, die das Erdbeben überlebt hatte. Weil der nächste Tag ein Sonntag war, befasste sich Richter Bernard Saint-Vil erst zwei Tage später mit dem Fall.

Silsby gab sich bei den Verhören als tief gläubige Christin: „Gott wollte, dass wir kommen und diesen Kindern helfen.“ Sie habe nicht gewusst, dass das gegen Gesetze verstoße und habe auch von der Dominikanischen Republik zurückkommen wollen, um die nötigen Papiere für die Kinder zu besorgen. Und überhaupt: „Solche Kinder verkauft man hier um den Preis eines Huhns.“ Das ist durchaus richtig. Viele Kinder werden ihn Haiti von ihren Eltern in reichere Familien gegeben, damit sie dort ihre Schulden abarbeiten. Doch wenn es stimmt, was Maletide Fenelon sagt, bezahlte Silsby nicht einmal den Preis eines Huhns.

Richter Saint-Vil stand vor der Wahl: Eine schnelle und stille Abschiebung der zehn Baptisten und den Fall einfach zu vergessen. Oder ein richtiges Verfahren, das diplomatische Verwicklungen nach sich ziehen könnte. Die US-Botschaft drängte auf die erste Lösung, die haitianische Regierung auf das örtliche Recht. Premierminister Jean-Max Bellerive hatte sein Urteil schon öffentlich gesprochen: „Das sind Entführer, die genau wussten, was sie taten.“ Darauf stehen in Haiti 15 Jahre Haft.

Saint-Vil wägte noch ab, da tauchte nach einer Woche deren Anwalt aus der Dominikanischen Republik auf. „Da wurde ich skeptisch; der Mann kam mit vier Leibwächtern hier an“, sagt Saint-Vil. „So etwas habe ich bei einem Anwalt noch nie gesehen.“ Der Mann mit rundem Gesicht, kurzem braunen Haar und sauber gestutztem Vollbart stellte sich als Jorge Puello vor, Anwalt einer 45-Mann-Kanzlei in Santo Domingo und daselbst Vorsitzender der sephardisch-jüdischen Gemeinde. 12.000 US-Dollar Anzahlung hatte er bereits von Angehörigen der Gefangenen bekommen, 36.000 weitere hatte er vorsorglich angefordert. Sein Auftritt war spektakulär; Fotos davon gingen am nächsten Tag weltweit durch die Presse.

Als er das Foto von Puello in einer lokalen Zeitung sah, wurde auch Jorge Callejas, Sprecher der Grenzpolizei in El Salvador, stutzig: „Das selbe Gesicht, der selbe Bart, das selbe Geburtsdatum.“ Nur der Name war anders. In El Salvador wurde seit dem 26. Mai 2009 ein Jorge Torres Orellana wegen Mädchenhandels gesucht, der Puello zum Verwechseln ähnlich sah. Er soll Mädchen und junge Frauen aus Nicaragua und der Dominikanischen Republik mit dem Versprechen auf Jobs in Büros oder als Models angeworben und sie dann in El Salvador in Bordelle gezwungen haben. Drei Nicaraguanerinnen waren aus einem Bordell geflohen und hatten ihn angezeigt. Bei einer Hausdurchsuchung in seiner salvadorianischen Residenz in Ciudad Versalles wurde seine hoch schwangere Frau Ana Josefa Galvarina Ramírez Orellana verhaftet. Es fanden sich auch Unterlagen von einer sephardischen Gemeinde in Santo Domingo. Der Hausherr aber war verschwunden.

Auch der angebliche Anwalt Puello tauchte ab, nachdem die mögliche Verbindung zu El Salvador bekannt geworden war. Seine Kanzlei in Santo Domingo war nicht mehr als eine Internetseite, die schnell wieder vom Netz genommen wurde. Er war weder in der Dominikanischen Republik noch in den USA, wie er behauptet hatte, als Anwalt registriert. Dafür war er wegen eines Bankbetrugs und des Waschens von Drogengeldern in Kanada 18 Monate in Auslieferungshaft und ein Jahr in den USA im Gefängnis gesessen. Dort wird er wegen Vergehen gegen Bewährungsauflagen gesucht, in mindestens vier weiteren Ländern wegen Mädchenhandels. In Telefoninterviews aus dem Untergrund stritt Puello zunächst alles ab, doch dann gestand er dem Nachrichtensender CNN: „Ja, ich bin der gesuchte Mann.“ Das hat die Freilassung der zehn inhaftierten Baptisten verzögert.

Zuerst wurden Ende Februar die acht Helfer von Silsby und ihrem ehemaligen Hausmädchen Coulter enlassen und sofort in die USA ausgeflogen. Einen Monat später durfte auch Coulter gehen. Silsby saß bis zum 17. Mai in Haft. An diesen Tag wurde das Urteil gegen sie gesprochen: Dreieinhalb Monate Haft – genau so viel, wie sie bereits abgesessen hatte. Auch sie flog sofort in die Heimat zurück. Ein Richter, der mit dem Fall befasst war, sagt ganz offen: „Da gab es Druck von der Botschaft der USA.“ So suchten die Richter in den Gesetzen und fanden schließlich einen Ausweg, der sowohl eine Verurteilung als auch die Freiheit für Silsby bedeutete: Sie wurde schuldig gesprochen, mit den Kindern eine „irregulären Reise“ unternommen zu haben. Das Urteil stützt sich auf ein Gesetz, das der damalige Diktator Jean-Claude Duvalier 1980 erlassen hatte. Um mehr Kontrolle über Personenbewegungen zu haben, mussten Busfahrten registriert werden. Lange schon hatte sich niemand um dieses Dekret gekümmert; es steht aber noch immer im Gesetzbuch.

Jorge Aníbal Torres Puello (das ist wahrscheinlich sein richtiger Name) war schon zwei Monate vorher, am Abend 18. März verhaftet worden, als er in Santo Domingo ein McDonald-Restaurant verließ. Er sitzt seither in der Dominikanischen Republik in Auslieferungshaft. Seine Frau Ana Josefa Galvarina Ramírez Orellana wurde am 26. Juli in El Salvador vom Gericht in Santa Tecla wegen sexueller Ausbeutung von mindestens fünf minderjährigen Nicaraguanerinnen und zwei volljährigen Dominikanerinnen zu acht Jahren Haft verurteilt. Die 33 Kinder sind alle wieder bei ihren Angehörigen und man weiß nicht so recht, ob Maletide Fenelon darüber glücklich ist.

„Ich bin zufrieden, dass sie wieder hier sind“, sagt sie schüchtern, aber richtige Freude oder Erleichterung ist nicht zu spüren. Eher wirkt sie erschöpft und ein bisschen traurig. Drüben im anderen Zimmer spielen die drei großen Mädchen mit einem Plastikeimer. Sie necken sich, ziehen sich Bindfäden durch die krausen Haare. Sie lachen. die kleinste sitzt auf dem Schoß der Mutter. „Der Kleinen kann ich nicht mehr die Brust geben. Seit ich sie weggegeben habe, habe ich keine Milch mehr.“ Sie habe gehofft, dass es den Mädchen besser gehen werde als hier in der Not in Haiti. „So lange sie da sind, kann ich nicht arbeiten oder wenigstens auf der Straße irgend etwas verkaufen.“ Und wie war die Zeit, in der sie weg waren? „Da habe ich mich wohl gefühlt.

“November 2010


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