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Bukeles Krieg gegen die Armen

Bukeles Krieg gegen die Armen

Warum sich die Einführung des Bitcoin als Landeswährung und Repression für El Salvadors Präsidenten bestens ergänzen. Von Toni Keppeler.

Teotepeque soll die Zukunft sein. Das behauptet zumindest El Salvadors Präsident Nayib Bukele. Er hat es mit großem Brimborium bei einem Festival im November vergangenen Jahres angekündigt – mit Rockmusik, Videoanimationen auf riesigen Bildschirmen und einem Feuerwerk. Und mit einer selbstverliebten Rede. Ganz in Weiß stand der 41-Jährige auf der Bühne. Die Baseballkappe mit dem Schild nach hinten, das Hemd mit den akkurat aufgekrempelten Ärmeln, die eng anliegende Hose – alles in Weiß. Der kurz gestutzte schwarze Vollbart kam so noch besser zur Geltung.

In diesem verschlafenen 12.000-Einwohner-Städtchen werde „Bitcoin City” entstehen, ein El Dorado für Krypto-Unternehmer aus aller Welt. Die würden zu Tausenden ins Land kommen, weil in El Salvador der Bitcoin – neben dem US-Dollar – seit nunmehr einem Jahr ganz offiziell nationale Währung ist. In riesigen Computerfarmen, betrieben mit dem Strom von Erdwärmekraftwerken am Fuß der nahe liegenden Vulkane, werde nach neuen Bitcoins geschürft. Und weil die neuen Unternehmer, die sich dort ansiedeln würden, jung sind und ihren Spaß haben wollen, gibt es für sie einen Strand. Er ist schwarz von vulkanischer Asche und deshalb glühend heiß und liegt im Ortsteil El Zonte. Surfer sagen, es gebe dort mit die besten Wellen der Welt. Dieser Strand heißt im Jargon des Präsidenten nicht mehr El Zonte, sondern „Bitcoin Beach”. Selbstredend, dass man dort alles in der Kryptowährung bezahlen kann, von der Kola in der Strandbar bis zum Luxushotel, das außerhalb des Ortes hinter hohen Mauern versteckt ist. Es verlangt ersatzweise auch 500 Dollar für eine Nacht. Landarbeiter in Teotepeque verdienen nicht einmal die Hälfte davon in einem Monat.

Auf dem großen Schild, das die Abfahrt von der Küstenstraße zum Strand anzeigt, steht zwar Bitcoin Beach. Danach aber sieht alles nach El Zonte aus. Die Straße ist eine Schotterpiste, deren Schlammlöcher so tief sind, dass sich ein geländegängiges Fahrzeug empfiehlt. In der Gosse am Rand dieses Wegs schlafen Betrunkene ihren Rausch aus. Ein paar Hütten aus Bretterwänden und rostigen Wellblechdächern, ein paar Kneipen, die nicht mehr sind als ein Palmstrohdach auf Säulen mit grob gezimmerten Bänken und Tischen darunter. Gekocht wird auf offenem Feuer, der Hygienestandard ist fragwürdig. So sehen viele Strände in El Salvador aus.

Die Unterkünfte für das gute Dutzend surfender Rucksacktouristen sind in ähnlichem Stil gebaut: Bretterverschläge mit durchgelegenen Betten, die Gemeinschaftslatrine steht ein paar Meter abseits. Versorgen können sich solche Touristen in kleinen Läden, die in ähnlichen Hütten untergebracht sind. An einem ist ein großes Schild angebracht: „Wir geben keinen Kredit. Bezahlung ausschließlich in bar.” Das ist eigentlich illegal. Nach dem Gesetz zur Einführung des Bitcoins muss in El Salvador jeder Laden und jeder Dienstleister, vom Schuhputzer bis zur Luxusboutique, die Kryptowährung akzeptieren.

Ein bisschen Moderne gibt es doch in El Zonte. Mitten im Ort steht ein Neubau, das Hotel „The Beach Break”. Es ist schlicht, quadratisch und weiß, auffällig sind nur zwei Schilder. Ein riesiges rotes Surfbrett mit einem weißen Bitcoin-Zeichen verkündet, dass die Kryptowährung akzeptiert wird. Warum eigentlich? Kein schweizer Hotel würde an seine Tür schreiben, dass man mit schweizer Franken bezahlen kann. Und das zweite Schild: „Der Zutritt mit Feuerwaffen verboten”, verziert mit einer durchgestrichenen Pistole. El Salvador gehört zu den Ländern mit den weltweit meisten Morden im Verhältnis zur Bevölkerung. Hundert Dollar kostet ein Zimmer im „The Beach Break”; eines von zwölf ist belegt.

Der Besitzer ist gerade hier. Carlos Marenco ist klein, untersetzt, mit wuchtiger Hornbrille, in T-Shirt, Bermuda-Shorts und Flip-Flops. Er ist 44 Jahre alt und lebt seit 13 Jahren in Los Angeles. Das Hotel ist eine Investition in seine Heimat. „Ab und zu muss man nach dem Rechten sehen”, sagt er. „Das hier ist ein Land der dritten Welt. Nichts funktioniert, wenn du nicht dahinter her bist.” Bisweilen begleichte tatsächlich ein Gast seine Rechnung in Bitcoin, erzählt er. Hauptsächlich seien es Europäer, die zum Surfen kommen. US-Amerikaner würden die Kryptowährung nur ganz selten verwenden, Salvadorianer nie. „Vor ein paar Monaten machte ich bis zu zwanzig Prozent meines Umsatzes in Bitcoin”, schätzt er. Zuletzt aber habe niemand mehr damit bezahlt. Der Kurs ist auf ein Drittel seines Höchststands gefallen. Wer Bitcoins besitze, gebe sie nicht aus, sondern hoffe auf einen steigenden Kurs. Leitwährung ist nach wie vor der US-Dollar. Ein Zimmer im „The Beach Break” kostet immer hundert Dollar und nicht etwa 0,005 Bitcoin. Vor ein paar Monaten genügten noch 0,002 Bitcoin. Fällt der Kurs morgen auf die Hälfte seines heutigen Werts, sind 0,01 Bitcoin fällig. Auch die Inflationsrate El Salvadors von derzeit rund acht Prozent wird von der Zentralbank nach Dollarpreisen berechnet. In Bitcoin liegt sie bei über 320 Prozent.

Die Bitcoinisierung El Salvadors war von Anfang an misslungen. Obwohl nur jeder zweite erwachsene Salvadorianer ein Konto bei einer Bank besitzt und viele keinen Strom und kein fließendes Wasser zu Hause haben, versuchte Präsident Bukele seinem Volk aufzubinden, mit der Kryptowährung würden sie zum fortschrittlichsten aller Länder. Er hat mit staatlichen Mitteln für über 100 Millionen US-Dollar Bitcoins gekauft, die seither über 60 Prozent ihres Werts verloren haben. Er hat eine elektronische Geldbörse entwickeln lassen, die sogenannte „Chivo Wallet“. Wer dieses Programm auf seinem Mobiltelefon installiert, bekommt vom Staat ein Willkommensguthaben im Gegenwert von dreißig Dollar geschenkt. Mit dieser Chivo Wallet kann man theoretisch an Chivo Kassenautomaten sein virtuelles Bitcoin-Guthaben in analoge Dollars umtauschen. Chivo ist ein salvadorianisches Slangwort. Es bedeutet dasselbe wie das englische cool und Bukele bezeichnet sich selbst gerne als den „coolsten Präsidenten”, bisweilen auch als den „coolsten Diktator der Welt”.

Sein Chivo-System aber ist gar nicht cool. Die Wallet enthält so viel Programmierfehler, dass sie häufig nicht funktioniert und bisweilen auch das virtuelle Guthaben verschwindet. Auch die Kassenautomaten gelten als äußerst unzuverlässig. Augenscheinlich werden sie so gut wie nie verwendet. Auch die Investoren, die Bukele mit dem Bitcoin anlocken wollte, kamen nicht. Im Gegenteil. „Statt neue Investoren ins Land zu bringen, wurden solche abgeschreckt, die schon hier sind”, sagt Leonor Selva, die Geschäftsführerin des Unternahmerverbands ANEP.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank nannten die Bitcoinisierung der salvadorianischen Wirtschaft wegen des instabilen Spekulationswerts der Kryptowährung unverantwortlich. Zudem könnten Mafias das Land ungestört zur Geldwäsche nutzen, weil Finanztransaktionen in Bitcoin kaum nachvollziehbar sind. Solange der Präsident seine Entscheidung nicht rückgängig mache, gebe es keine neuen Kredite. Für bereits laufende muss das Land fast dreißig Prozent Zinsen bezahlen, das Sechsfache des lateinamerikanischen Durchschnitts. Die einflussreichsten Rating-Agenturen stuften Anleihen aus El Salvador auf Ramsch-Niveau herunter. Wirtschaftspolitisch gesehen war die Einführung des Bitcoin schlicht eine Katastrophe.

Anfang des Jahres wurde das offensichtlich. Seither steigt die Inflation, das Geld in der Staatskasse wurde knapp, Gesundheitsprogramme wurden gestrichen. In Umfragen nannte die Bevölkerung die Wirtschaftskrise als drängendstes Problem und nicht mehr, wie seit Jahrzehnten, die vielen Morde. Die Zustimmungswerte des Präsidenten sanken – zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt am 1. Juni 2019. Sein Schein aber ist Nayib Bukele wichtiger als alles andere. Fehler gehören nicht dazu. Was er macht, ist immer gut, immer richtig, immer chivo und cool. Und wenn etwas trotzdem ein Flop ist, erfindet er ein Spektakel, um davon abzulenken.

Dieses Spektakel begann am 27. März. An jenem Tag rief der Präsident – nach einem schnellen Parlamentsbeschluss ohne Debatte – für dreißig Tag den nationalen Notstand aus. Seither können Menschen ohne Angaben von Gründen und ohne konkreten Verdacht verhaftet werden. Seither wurden über 50.000 Menschen verhaftet, in der überwiegenden Mehrheit Männer zwischen 18 und 40 Jahren. Der pauschale Vorwurf, in der Regel ohne Beweise: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zuvor saßen in El Salvador gut 30.000 Menschen in Gefängnissen, die für 18.000 Häftlinge ausgelegt sind. Heute drängen sich zum Teil über hundert Gefangene in einer Zelle. Sie müssen in Schichten schlafen, weil der Platz auf dem Boden nicht für alle reicht.

Anlass für diese selbst im autoritären El Salvador beispiellose Welle der Repression war der blutigste Tag seit Jahrzehnten. Am Samstag, den 26. März, ermordeten Maras 62 Menschen. Maras nennt man die Banden, die den lokalen Drogenhandel beherrschen, fächendeckend Schutzgelder erpressen und sich blutige Revierkämpfe liefern. Sie sind in zwei großen Verbänden organisiert: in der Mara Salvatrucha 13, kurz MS-13, und im Barrio 18 (B-18), das vor ein paar Jahren in zwei einander bekriegende Teile auseinandergebrochen ist. Insgesamt, schätzt man, haben diese Banden in El Salvador zwischen 60.000 und 80.000 Mitglieder. Anders gesagt: Einer von hundert Einwohnern ist Teil des organisierten Verbrechens.

Diese Maras wurden von Politikern längst als Machtfaktor erkannt und genutzt. Der frühere Präsident Mauricio Funes (2009 bis 2014) hatte ein geheimes Abkommen mit ihnen geschlossen: Hafterleichterungen, Mobiltelefone und Prostituierte für die Bandenchefs im Gefängnis gegen weniger Morde. Das Geschäft funktionierte, bis es öffentlich wurde und Funes zurückrudern musste. Bukele hatte einen noch weitergehenden Pakt mit den Maras. Vor der Parlamenteswahl im Februar vergangenen Jahres mordeten sie deutlich weniger. Die Bandenchefs bekamen dafür Schutz vor Strafverfolgung zugesichert. Bukele aber galt in der Öffentlichkeit als Mann, der das Mara-Problem in den Griff bekommt, seine Partei gewann bei der Wahl eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

All diese Details weiß man, seit der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen einem hohen Regierungsbeamten und einem Mara-Chef der Internetzeitung „El Faro” zugespielt und von dieser veröffentlicht worden ist. Aus diesen Gespräch weiß man auch, dass dieser Pakt von der Regierung ein Jahr später mutwillig gebrochen wurde: Sie bestellte eine Gruppe von Mara-Führern mit dem Vorwand weiterer Verhandlungen ein – und verhaftete sie statt dessen. Die gezielte Provokation hatte den Blutsamstag vom 26. März zur Folge. Das war absehbar. Die Maras suchten ihre Opfer rein zufällig aus. Es ging nur um eine möglichst hohe Zahl von Toten. Das wiederum lieferte Bukele den Grund, am 27. März den Ausnahmezustand auszurufen. Er galt zunächst für 30 Tage und wird seither mit der Parlamentsmehrheit der Präsidentenpartei um jeweils weitere 30 Tage verlängert. Seither redet niemand mehr vom Bitcoin und den Wirtschaftsproblemen.

Bukele war auf die Welle der Repression gut vorbereitet. Er hat mit seiner Parlamentsmehrheit das Verfassungsgericht und den Generalstaatsanwalt entlassen. Das Verfassungsgericht hatte den Präsidenten in seinen ersten beiden Amtsjahren immer wieder mit Urteilen auasgebremst, der Generalstaatsanwalt hatte sich erdreistet, gegen korrupte Regierungsmitglieder zu ermitteln. Statt dessen hat Bukele – entgegen den Vorschriften der Verfassung – selbstherrlich Juristen eingesetzt, die ihm jederzeit zu Diensten sind. Medien, die ihn kritisieren, werden im Stil Putins mit Steuerverfahren überzogen, kritische Journalisten wurden mit der Spionagesoftware Pegasus ausspioniert. Viele sind inzwischen im Exil. Genauso wurden Nichtregierungsorganisationen eingeschüchtert. Zudem hat Bukele ein von ihm dirigiertes staatliches Medienimperium aus Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern geschaffen, mit dem die wenigen kritischen Stimmen übertönt werden.

Das Volk war zunächst mehrheitlich begeistert. Endlich ging ein Präsident mit harten Bandagen gegen diese Kriminellen vor. Dass er das nicht mit rechtsstaatlichen Methoden machte, störte nur ein paar Menschenrechtsanwälte und Journalisten. Bukele ging mit Sondergesetzen gegen sie vor. Wer etwa Nachrichten verbreitet, die von der Regierung als Mara-freundlich eingestuft werden, kann zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Kritische Stimmen haben deshalb Seltenheitswert. In den Armenvierteln aber rumort es hinter vorgehaltener Hand. Wer männlich ist, arm und jung, der traut sich nicht mehr auf die Straße – aus Angst, verhaftet zu werden und zu verschwinden. Ältere fühlen sich an die Zeiten der Todesschwadrone in den 1970er- und 80er-Jahren erinnert. Und wie damals fordert Bukele heute zum Denunzieren auf: „Wir brauchen deine Hilfe, um weiterhin Terroristen fangen zu können. Ruf die Nummer 123 an, dein Anruf ist anonym.”

Wie viele junge Männer verhaftet wurden, obwohl sie nie etwas mit Maras zu tun hatten, ist schwer zu schätzen. Niemand hat sie gezählt, aber es gibt unendlich viele Geschichten wie die von Mirna Méndez. Sie ist 32 Jahre alt und wohnt in Tres Marías, einem Weiler aus einem halben Dutzend Häuser in den Bergen im besten Kaffeeland im Westen von El Salvador. Sie arbeitet als Tagelöhnerin, putzt Wohungen in Juayúa, dem nächst gelegenen Städtchen. Zu Fuß erreicht sie es in zwei Stunden, mit dem Motorrad schafft man es in einer halben. Ihr Mann José Cruz, als Gärtner ebensfalls Tagelöhner, besitzt eines und hat an einem Tag sie, am nächsten den sechzehnjährigen Sohn und am dritten die zehnjährige Tochter mitgenommen. Beide gehen in Juayúa zur Schule. Derzeit gehen alle drei jeden Tag zu Fuß. José Cruz sitzt im Gefängnis und außer ihm hat in der Familie niemand einen Führerschein.

Mirna Méndez ist klein und kompakt, hat ein rundes Gesicht und glänzend schwarze lange Haare. Man sieht ihr die indianische Abstammung an und auch die Armut. Sie spricht, wie die meisten Armen vom Land in El Salvador sprechen: leise, ohne Schnörkel, nur das Nötigste und meist mit gesenkten Lidern. Es war am 20. Juni. Da kam José nicht von der Arbeit nach Hause. „Ich habe ihn immer wieder angerufen und er hat nicht geantwortet. Schließlich hat er abgenommen und gesagt, er sei auf der Polizeiwache in Juayúa.” Man habe ihn angehalten und mitgenommen, das Motorrad blieb auf am Weg zurück. „Ich habe den Motorradschlüssel abgeholt und seinen Rucksack und ihn noch einmal von Ferne gesehen.” Seither weiß sie nicht mehr mit Sicherheit, wo er ist. Bei der Polizei erfuhr sie, er sei zunächst in die Provinzhauptstadt Sonosonate und dann ins völlig überbelegte Gefängnis von Mariona am Rand der Hauptstadt San Salvador gebracht worden.

Mirna Méndez war nie in San Salvador. Mit dem Bus sind das von Juayúa aus drei Stunden und es kostet hin und zurück sechs Dollar. Sie muss jeden Cent umdrehen. Ihr Einkommen allein reicht nicht, um sie und die beiden Kinder durchzufüttern. Sie ist auf die Hilfe der Familie angewiesen. Trotzdem ist sie nach Mariona gefahren und hat dort gut tausend weitere Frauen angetroffen, die nach ihren Männern oder Söhnen suchten. Man hat ihr gesagt, sie müsse „das Paket” kaufen und an der Pforte abgeben: ein Plastiksack, in dem eine Zahnbürste und Zahnpasta sind, Waschmittel und Seife und dazu eine weiße Sporthose und ein weißes T-Shirt – die übliche Häftlingskleidung in El Salvador. Dieses Paket wird von autorisierten Läden rund um die Gefängnisse verkauft. Es kostet siebzig Dollar. Mirna Méndez hat es gekauft und abgegeben. Sie weiß nicht, ob ihr Mann in Mariona einsitzt, geschweige denn, ob das Paket bei ihm angekommen ist. „Ich weiß nicht, ob er Hunger hat oder krank ist. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt.”

Sie hat ein polizeiliches Führungszeugnis ihres Mannes besorgt. Es war ohne jeglichen Eintrag. Sie hat Schreiben besorgt von den Leuten, denen er den Garten pflegt, und die alle mit ihm zufrieden waren. Sogar der evangelikale Pfarrer des Nachbarorts hat ihr einen Empfehlungsbrief geschrieben. Sie hat das alles dem öffentlich bestellten Verteidiger gegeben und nie wieder etwas von ihm gehört. „Mit Maras hat er nie etwas gehabt”, sagt sie. „Es gibt keine Maras in Tres Marías.” Anfang August aber kam die Polizei in ihr Haus und hat alles auf den Kopf gestellt. „Sie sagten, hier seien Waffen versteckt. Aber sie haben nichts gefunden.” Mirna Méndez kennt andere Frauen, denen es genauso ergeht und die auch nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen. Protestieren wolle keine – aus Angst, dann selbst verhaftet zu werden. „Das ist ein Krieg gegen die Armen.”

Zaira Navas kennt unzählige solche Fälle. Sie ist Anwältin bei Cristosal, einer der letzten Menschenrechtsorganisationen, die den Präsidenten öffentlich kritisieren. Cristosal betreut 2.500 Verhaftete. Es gehe Bukele nur darum, täglich Erfolgszahlen vorweisen zu können, sagt Navas. Es gebe deshalb Quoten für jede Polizeidienststelle, wie viele Verhaftete vorzuweisen seien. Polizisten haben das bestätigt – und wurden daraufhin strafversetzt. „Es gibt tausende von Angehörigen, die auch nach Monaten nicht wissen, in welchem Gefängnis ihre Verwandten einsitzen”, sagt Navas. Es finden zwar nach zwei Wochen Haft die gesetzlich vorgeschriebenen Anhörungen statt. Aber ein Richter verhandle an einem Tag bis zu tausend Fälle. Mehr Zeit, als die Namen zu verlesen, bleibt da nicht. Danach kommen alle in Untersuchungshaft, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. „Von den 2.500, die wir betreuen, kamen drei nach dieser Anhörung frei”, sagt Navas. „Wir wissen nicht, warum.”

In den Zellen sei es so eng, dass die Gefangenen „selbst um die Luft zum Atmen kämpfen”. Es komme immer wieder zu Unruhen, die von den Wärtern mit Prügeln und Tränengas unterdrückt würden. Es habe mindestens 65 Tote gegeben, darunter solche, deren Verletzungen eindeutig auf Folter hinweisen. Man wisse das nur von Beerdigungsinstituten, offizielle Meldungen gibt es nicht. Alles unterliegt der Geheimhaltung.

Spätestens im Januar nächsten Jahres werden die Wirtschaftsprobleme wieder aus der Versenkung auftauchen. In diesem Monat muss El Salvador 800 Millionen US-Dollar Schulden begleichen. Einen neuen Kredit dafür wird es nicht geben. Bukele hat zwar schon vor Monaten angekündigt, er werde eine Bitcoin-Anleihe im Gegenwert von einer Milliarde Dollar auflegen, aber er hat sie nie platziert. Wahrscheinlich weiß er inzwischen, dass niemand diese Papiere kaufen würde. So droht dem Land im Januar ein Staatsbankrott. Um Unruhen vorzubeugen, wird dem Präsidenten die jetzt eingeübte Repression nützlich sein.

Bis dahin aber gibt er weiterhin kräftig Geld aus. Sein neuestes Projekt ist eine Gefängnis für 40.000 Häftlinge. Es wird schon heftig gebaut, obwohl es nie eine öffentliche Ausschreibung gab. Niemand weiß, wieviel es kosten soll und also weiß auch niemand, wieviel Geld eventuell verschwindet. Alles unterliegt der Geheimhaltung. Der nationale Notstand rechtfertigt das.

Drei der vier Präsidenten vor Bukele wurden nach ihrer Amtszeit wegen Korruption verfolgt. Mauricio Funes (2009 bis 2014) soll mehr als 300 Millionen Dollar unterschlagen haben. Er floh nach Nicaragua ins Exil. Bei Antonio Saca (2004 bis 2009) waren es ziemlich genau 300 Millionen. Er sitzt heute im Gefängnis. Francisco Flores (1999 bis 2004) wurde wegen ein paar Dutzend Millionen angeklagt. Er erlitt während des Prozesses einen Herzinfarkt und starb. Als erste Korruptionsskandale der Regierung Bukele öffentlich wurden, hat der Präsident den Generalstaatsanwalt gegen einen Lakaien ausgetauscht. Alles, was mit Geld zu tun hat, unterliegt seither der Geheimhaltung. Aber Bukele ist jung und es wird eine Zeit nach seiner Präsidentschaft geben. Bei Funes, Saca und Flores konnte man den Weg der Dollars aus der Staatskasse in private Schatullen verfolgen. Damals gab es keine Bitcoins, mit denen Finanztransfers verschleiert werden können.

September 2022


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