Wie El Salvadors Präsident Nayib Bukele versucht, die investigative Internetzeitung „El Faro” mit Fake News und anderen unlauteren Mitteln einzuschüchtern. Von Toni Keppeler und Cecibel Romero.
Nayib Bukele erzählt gerne Geschichten. Manchmal stimmen sie ein bisschen, meist aber stimmen sie nicht. Und weil der 39-jährige Werbefachmann seit dem 1. Juni vergangenen Jahres Präsident von El Salvador ist, erzählt er am liebsten von sich selbst und davon, wie erfolgreich er das kleine zentralamerikanische Land regiert.
Nayib Bukele ist selbstverliebt. Er trägt seinen schwarzen Vollbart stets akkurat gestutzt, legt das schwarze Haar mit viel Gel nach hinten, und auch wenn er leger gekleidet ist, sieht man sofort, dass das Stil hat und sehr teuer war.
Wenn selbstverliebte Menschen gerne erzählen, neigen sie dazu, nur noch sich selbst hören zu wollen, und so ist das auch bei Nayib Bukele. Er will, dass die Erzählung von allem, was in El Salvador geschieht, nur noch seine Erzählung ist. Darstellungen, die anderes erzählen, verbietet er zwar nicht gleich. Aber er greift die Erzähler an; mit rechtsstaatlich fragwürdigen Mitteln und bisweilen auch mit frei erfundenen Geschichten.
Sein zähester Gegner im Kampf um die Deutungshoheit über das, was in El Salvador geschieht, ist seit über einem Jahr „El Faro”, deutsch: „Der Leuchtturm”. Mit 22 Jahren ist „El Faro” Lateinamerikas älteste Internetzeitung. Sie wurde international mit Preisen und Lob überhäuft, die Regierungen El Salvadors aber mochten sie nie. Das liegt daran, dass „El Faro” sich in sehr langen und gut dokumentierten Reportagen und Recherchen die Themen vornimmt, die das Leben im Land bestimmen: illegale Migration in den Norden, Bandengewalt, Drogenhandel und eben auch Korruption in der Regierung.
Eine Geschichte über Geld aus der Kasse des Präsidenten war die erste, die den Zorn des Präsidenten erregte. Am 4. September 2019 – er war gerade drei Monate im Amt – titelte „El Faro”: „Bukele hat bereits zwei Millionen aus der geheimen Schatulle des Präsidenten ausgegeben”. Es handelte sich dabei um US-Dollar, denn die sind seit 2001 offizielle Währung in El Salvador. Die „geheime Schatulle des Präsidenten” ist ein Haushaltsposten, über den der Staatschef keinerlei Rechenschaft ablegen muss. Gemeinhin wird daraus Geld für Beschaffungen der Geheimdienste entnommen, aber auch, um mit seiner Hilfe bei schwierigen Verhandlungen die andere Seite zum Nachgeben zu überreden. Und natürlich lädt so eine schwarze Kasse auch zur ganz privaten Bereicherung ein. Wofür Bukele die zwei Millionen ausgegeben hatte, wussten die Journalisten von „El Faro” nicht. Sie wussten nur: Sie waren weg.
Die Reaktion des Präsidenten kam prompt. Als zwei Vertreter der Zeitung zwei Tage später an einer von ihm veranstalteten Pressekonferenz teilnehmen wollten, wurde ihnen vom Sicherheitsdienst sehr unfreundlich die Tür gewiesen. Selbst die rechte Tageszeitung „El Diario de Hoy” brachte diesen ungewöhnlichen Eingriff in die Informationsfreiheit auf die Titelseite. Bukele stornierte daraufhin alle in diesem Blatt gebuchte staatliche Werbung und zog schon erteilte Druckaufträge an die Druckerei des Unternehmens zurück. Der Konflikt mit „El Faro” spitzt sich seither immer mehr zu.
Sein Verhältnis zu dieser Publikation war nicht immer so. Bukele, Spross einer steinreichen Familie, hatte die meiste Zeit des Bürgerkriegs (1980 bis 1992) als Kind sicher in den USA verbracht. Schon mit 18 Jahren wurde er Eigentümer der Firma „Yamaha Motors El Salvador”, die Motorräder und andere Maschinen des japanischen Herstellers exklusiv im Land vertrieb. Später baute er auch noch eine Werbeagentur auf. 2012 ging er in die Politik und wurde zum Bürgermeister von Nuevo Cuscatlán gewählt, einem Kleinstädtchen südlich der Hauptstadt San Salvador. Er trat damals für die zur Partei gewandelte ehemalige linke Guerilla FMLN an – nicht etwa, weil er sich ihr politisch verbunden fühlte. Die FMLN regierte damals in El Salvador, mit ihr rechnete sich Bukele die besten Chancen aus. Auch den ehemaligen Guerilleros war seine Kandidatur recht. Der Partei ist es bis heute nicht gelungen, ihre alten Comandantes aus dem Bürgerkrieg durch eine neue Generation zu ersetzen. Ein smarter junger Mann kam ihr da gerade recht. Mit ihm hoffte man, neue Wähler zu finden.
Das Kalkül ging auf. 2015 schaffte Bukele den Sprung aus der Kleinstadt ins Rathaus von San Salvador, wieder als Kandidat der FMLN. Seit seinem ersten Tag als Hauptstadtbürgermeister hat er sich auf die Präsidentschaftswahl von 2019 vorbereitet und sich darüber mehr und mehr mit der Partei zerstritten, mit deren Hilfe er in dieses Amt gekommen war. Er suchte Abstand zu ihr, auf Teufel und komm raus. Er glaubte, als unabhängig erscheinender Kandidat größere Chancen zu haben als mit der nach zwei Regierungsperioden ausgelaugten FMLN, und er hatte damit wohl recht. Er trieb es so weit, dass er schließlich aus der Partei ausgeschlossen wurde. Mit „El Faro” verstand er sich damals gut, trat sogar äußerst gut gelaunt bei einer von diesem Medium veranstalteten Podiumsdiskussion auf. Die Internetzeitung kritisierte alles an der FMLN-Regierung, was es zu kritisieren gab, und das kam Bukele entgegen.
Unter anderem hat „El Faro” aufgedeckt, dass es geheime Verhandlungen zwischen der FMLN-Regierung und den sogenannten Maras gegeben hatte. Diese Banden mit zusammen rund 60.000 Mitgliedern liefern sich blutige Schlachten um Einflussgebiete, kontrollieren den lokalen Drogenhandel und erpressen flächendeckend Schutzgelder. Wer nicht bezahlt, wird ermordet. Mehr als zehn Tötungsdelikte an einem Tag sind in El Salvador seit Jahren die Regel. Der damalige Deal: Die in einem Hochsicherheitsgefängnis einsitzenden Bandenchefs bekommen erhebliche Hafterleichterungen, wenn sie im Gegenzug dafür sorgen, dass die Zahl der Morde deutlich sinkt. Heute ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen dieses Abkommens mit dem organisierten Verbrechen gegen den damaligen Präsidenten Mauricio Funes und seinen Chefunterhändler.
Wahrscheinlich ahnte Bukele, dass die Journalisten von „El Faro”, würde er Präsident werden, genauso hinter ihm her recherchieren würden, wie sie es bei den linken FMLN-Regierungen und deren rechten Vorgängern gemacht hatten. Mit dem Bericht über das aus der schwarzen Kasse verschwundene Geld am 4. September 2019 hatte er die Bestätigung. Doch er war vorbereitet. Schon seinen Wahlkampf um die Präsidentschaft hatte er fast ausschließlich im Internet geführt und dafür von den Leuten seiner Werbeagentur ein Netzwerk von Trollen und Bots aufbauen lassen, die seine Nachrichten über die Plauderplattformen des Netzes verbreiteten. Er ließ die Internetauftritte der beiden großen Tageszeitungen täuschend echt nachbauen und versah sie mit authentisch wirkenden Internetadressen. Er ließ sich darauf loben und seine Gegner mit falschen Nachrichten verächtlich machen. Das war zum Teil ganz unterhaltsam, legal aber war es nicht. Sofía Medina, seine damalige Sprecherin, wurde deshalb sogar einmal für ein paar Wochen inhaftiert. Sie wurde für ihre treuen Dienste belohnt und ist heute Staatssekretärin für Kommunikation.
Bukeles Verlautbarungsnetzwerk ist längst nicht mehr auf unzählige Konten bei Facebook, Twitter, Instagram und Tiktok begrenzt. Als Präsident hat er eine eigene gedruckte Zeitung gegründet und eine Nachrichtensendung im Staatsfernsehen. Beide präsentieren seine „alternativen Fakten”. Seine Regierung verwaltet Medien, die den früheren Präsidenten Funes und Antonio Saca gehörten und die beschlagnahmt wurden, weil Saca wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und Funes sich einem ähnlichen Urteil durch die Flucht nach Nicaragua entzogen hat. Zu diesen Medien unter Regierungskontrolle gehören der Fernsehsender „Orbita TV”, der beliebte Rundfunksender „Radio 102Nueve” und die Internetzeitung „La Página”. Dazu kommen eine ganze Reihe von privaten Radio- und Fernsehstationen, deren Eigentümer und Journalisten dem Präsidenten zu Füßen liegen und deren Arbeit im besten Fall sehr unkritisch ist. Minister geben nur solchen Medien Interviews. Wenn sich Bukele selbst ans Volk wenden will, greift er zum Mittel der sogenannten „cadena nacional”, einer Ansprache, die von allen Fernsehstationen übertragen werden muss.
„El Faro” und auch die kleinere ebenfalls regierungskritische Internetzeitschrift „Factum” trotzen dieser Medienmacht mit Recherchen. Während der Ausgangssperre in der Corona-Krise veröffentlichten sie Geschichten über tausende von willkürlichen Verhaftungen. Die Betreffenden wurden zum Teil für Wochen in dafür nicht eingerichteten Quarantänezentren inhaftiert, ihre Autos beschlagnahmt. Das Verfassungsgericht verbot zwar dieses Vorgehen, der Präsidenten aber ignorierte das Urteil. Es erschien eine ganze Reihe von Artikeln, in denen Mitgliedern seiner Regierung nachgewiesen wurde, dass sie sich bei der Beschaffung von medizinischer Ausstattung zur Bekämpfung der Pandemie bereichert hatten. Und schließlich, am vergangenen 3. September, präsentierte „El Faro” eine Recherche über Geheimverhandlungen zwischen der Regierung Bukele und den Maras. Den Banden werden die von ihnen kontrollierten Stadtteile überlassen, sie setzen dort die Ausgangssperre mit Baseball-Schlägern durch. Für ihre inhaftierten Chefs gab es Hafterleichterungen. Im Gegenzug ist die Zahl der Morde auf rund die Hälfte gesunken.
Die Methoden zur Unterbindung solcher Nachrichten sind mit der Zeit immer härter geworden. Der Verband salvadorianischer Journalisten APES hat seit dem Amtsantritt von Bukele über sechzig persönliche Angriffe auf Kollegen registriert, von verleumderischen Shitstorms bis hin zu zwei mysteriösen Einbrüchen in Privatwohnungen, bei denen Computer mit Recherchematerial gestohlen wurden. In einer Artikelserie in der regierungskontrollierten Zeitung „La Página” Anfang Juli wurde „El Faro” – ohne Nennung eines Autors oder von Quellen – vorgeworfen, eine Mitarbeiterin sei bei einem Treffen der Redaktion sexuell belästigt worden. Obwohl die betreffende Frau über ihre Anwälte versichern ließ, diese Geschichte sei frei erfunden, eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren. Der einzige Beweis: Der Artikel aus „La Página”.
Inzwischen wird „El Faro” von den Steuerprüfern des Finanzministeriums heimgesucht und Bukele verlautbarte über seine Kanäle, gegen die Internetzeitung werde „wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche” ermittelt. José Luis Sanz, Chefredakteur des Mediums, nimmt das gelassen: „Wir haben keinerlei Nachricht vom Finanzministerium über eventuelle Unregelmäßigkeiten in unserer Buchhaltung und es gibt unseres Wissens auch keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche.” Er ist solche von autoritären Regimen gerne benutzten Schikanen gewohnt. „Unter der FMLN-Regierung hatten wir 2018 drei Überprüfungen auf einmal”, erzählt er. „Eine vom Finanz-, eine von Wirtschafts- und eine vom Arbeitsministerium. Wie haben alle drei überstanden.”
Mehr als 500 lateinamerikanische Journalisten, die Menschenrechtsorganisationen „Amnesty International” und „Human Rights Watch”, das Hohe UNO-Kommissariat für Menschenrechte und der Interamerikanische Presseverband haben beim Präsidenten gegen dieses Vorgehen protestiert. Sogar ein paar Abgeordnete des US-Kongresses, Republikaner wie Demokraten, haben einen Brief an Bukele geschrieben: „Der erstklassige Journalismus von ‚El Faro‘ wird nicht nur in El Salvador, sondern von der internationalen Gemeinschaft hoch angesehen”, schreiben sie. „Seine Glaubwürdigkeit wurde von Ihrer Regierung in anonymen Beiträgen in Medien angegriffen, die von Ihrer Regierung verwaltet werden. Darüber hinaus sind wir außerordentlich besorgt über die aggressive Steuerprüfung, die Ihr Finanzministerium bei ‚El Faro‘ vornimmt und die uns als Einschüchterungsversuch erscheint.”
Der Präsident antwortete auf die ihm eigene Art über Twitter: „Bedeutet das etwa, dass jeder Geldwäscher, jeder Drogenhändler und jeder Steuerhinterzieher nur eine Zeitung aufmachen muss und schon kann niemand mehr gegen ihn ermitteln?” Seine Schlacht gegen „El Faro” ist noch lange nicht vorbei. Bukele bleiben noch dreieinhalb Jahre im Amt.
Dezember 2020