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Wie der Nestlé-Arbeiter Luciano Romero ermordet wurde

Wie der Nestlé-Arbeiter Luciano Romero ermordet wurde

Ein kolumbianischer Gewerkschafter hätte 2005 vor einem internationalen Tribunal gegen den Lebensmittelkonzern Nestlé aussagen sollen. Wenige Tage zuvor wurde er mit fünfzig Messerstichen zu Tode gefoltert. Jetzt soll eine Strafanzeige gegen Peter Brabeck und weitere Manager sowie gegen Nestlé klären, ob diese eine Mitverantwortung tragen. Von Toni Keppeler.

Eigentlich wollte Luciano Romero seine Frau am Abend nicht alleine zu Hause lassen. Er wollte nicht arbeiten, sondern sein Taxi, einen gelben Chevrolet Sprint mit dem Nummernschild UWQ-473, einfach eine Nacht vor dem Haus stehen lassen. Seine Frau Ledys Mendoza hatte am Tag eine kleine ambulante Operation gehabt. Luciano hatte sie ins Krankenhaus begleitet. «Als wir am Nachmittag nach Hause kamen», erzählt Ledys Mendoza, «hatte ich Kopfschmerzen, und wir legten uns aufs Bett.» Weil am Abend Lucianos Schwager vorbeikam und sich um Ledys kümmerte, fuhr Romero trotzdem los. «Ruf mich an, wenn dein Bruder nach Hause will», sagte er noch. «Dann komm ich sofort zurück.»

Abends um neun rief Ledys Mendoza an. Doch das Mobiltelefon ihres Mannes war ausgeschaltet. In der Taxizentrale sagte man ihr, auch das Funkgerät in seinem Wagen sei nicht am Netz. Ledys’ Bruder, ebenfalls Taxifahrer, suchte vergeblich die üblichen Stellen ab, an denen seine Kollegen nachts auf Kunden warten. Die Polizei wusste nichts von einem Unfall oder Überfall, und auch in den Krankenhäusern der Stadt war niemand eingeliefert worden, der Luciano Romero hiess.

Am nächsten Morgen um zehn kam ein Kollege von der Taxikooperative bei Ledys Mendoza vorbei. «Er sagte, ich solle mitkommen ins Spital, es gebe dort einen Toten. Man müsse nur ausschliessen, dass es Luciano sei.» Der Kollege wusste schon, dass dort die Leiche von Romero lag, aber er wagte nicht, es ihr zu sagen. «Als ich ins Spital kam, waren da schon viele von der Gewerkschaft. Da wusste ich, dass er tot war.» Sie wollte ihren Mann noch einmal sehen, aber seine Kollegen hinderten sie daran. Sie wollten ihr den Anblick ersparen. «Ich dachte, die Mörder hätten ihn einfach erschossen.»

Die Leiche von Luciano Romero war am Morgen des 11. September 2005 auf einer Wiese ausserhalb der Provinzstadt Valledupar im Norden von Kolumbien gefunden worden, gleich hinter dem Gelände der örtlichen Armeegarnison. «Wir wussten, wo wir suchen mussten», sagt sein Gewerkschaftskollege Alfonso Barón. «Die Paramilitärs haben dort öfters Leichen abgelegt.» Romero war mit fünfzig Messerstichen langsam zu Tode gefoltert worden. Im Mund des Toten steckte ein Stück Tuch. Er war der fünfte Gewerkschafter der zum Nestlé-Konzern gehörenden Milchpulverfabrik Cicolac in Valledupar, der ermordet worden war. Romero war 46 Jahre alt geworden.

Dass Gewerkschafter getötet werden, gehört in Kolumbien fast zum Alltag. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) wurden in den vergangenen zehn Jahren sechzig Prozent der weltweit an organisierten Arbeitern begangenen Morde in diesem lateinamerikanischen Land verübt. In nackten Zahlen sind das zwischen vierzig und fünfzig Morde jedes Jahr. Und dies, obwohl dort nur sechs Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung Mitglied in einer Gewerkschaft sind. Seit 1986 hat allein die nur 3600 Mitglieder zählende Gewerkschaft Sinaltrainal (Nationale Gewerkschaft der Arbeiter in der Lebensmittelindustrie) mehr als zwanzig ihrer Mitglieder durch Bluttaten verloren. Dreizehn von ihnen arbeiteten vorher in einer Nestlé-Fabrik.

Über neunzig Prozent dieser Morde wurden nie aufgeklärt. Insofern ist der Fall Romero ein besonderer: Vier ehemalige Paramilitärs, die den Gewerkschafter in der Nacht des 10. September 2005 entführt und dann zu Tode gefoltert hatten, wurden in den Jahren 2007 bis 2009 zu Haftstrafen von bis zu vierzig Jahren verurteilt. In einem dieser Urteile heisst es, dass diese kleinen Schergen die Tat unmöglich von sich aus hätten begehen können. Geplant und finanziert hätten sie andere. Richter José Nirio Sánchez wies deshalb die Staatsanwaltschaft schriftlich an, «gegen führende Manager von Nestlé-Cicolac zu ermitteln, um ihre wahrscheinliche Beteiligung und/oder Planung und Finanzierung des Mordes am Gewerkschaftsführer Luciano Enrique Romero Molina aufzuklären». Die Ermittlungen wurden bis heute nicht ernsthaft aufgenommen.

Die in Berlin ansässige Anwaltsgruppe «European Center for Constitutional and Human Rights» (ECCHR) hat am Montag im Kanton Zug, wo Nestlé einen Sitz in Cham hat, Strafanzeige gegen den damaligen Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe und vier weitere Spitzenmanager des Lebensmittelkonzerns eingereicht (vgl. «Chronik eines angekündigten Mordes»). Laut Strafanzeige wird den Beschuldigten vorgeworfen, durch Unterlassen von Schutzmassnahmen den gewaltsamen Tod des Gewerkschafters Luciano Romero mit verursacht zu haben. In der Begründung heisst es unter anderem, die damalige kolumbianische Tochter Cicolac und das Schweizer Mutterhaus bildeten «eine zentral aus der Schweiz gesteuerte wirtschaftliche Einheit», Nestlé AG sei im Handels?register von Bogotá «als kontrollierendes Unternehmen gegenüber Cicolac» registriert gewesen. Sollte eine individuelle strafrechtliche Verantwortung der fünf Beklagten «aufgrund mangelnder interner Organisation und Dokumentation nicht nachweisbar» sein, solle hilfsweise die Nestlé AG als Konzern zur Verantwortung gezogen werden.

Diese Anzeige passt nicht zum Bild, das der Schweizer Lebensmittelkonzern gerne von sich zeichnet (Umsatz 2011: 86,3 Milliarden Franken; Gewinn: 9,5 Milliarden Franken; rund 280?000? MitarbeiterInnen weltweit). Im Nachhaltigkeitsreport von 2008 mit dem Titel «Der Nestlé-Bericht zur gemeinsamen Wertschöpfung» heisst es unter anderem: «Unser Grundsatz lautet, dass jeder Mitarbeiter Gelegenheit haben sollte, sein Potenzial an einem sicheren und fairen Arbeitsplatz zu entwickeln, an dem er gehört, respektiert und geschätzt wird.» Jeder Arbeiter habe das Recht, sich gesetzlich anerkannten Gewerkschaften anzuschliessen. Die Sicherheit der Mitarbeiter sei «nicht verhandelbar».

In einer 2006 veröffentlichten Firmenbroschüre über das «Nestlé-Konzept der sozialen Verantwortung und seine Umsetzung in Lateinamerika» werden die Leitlinien unternehmerischen Handelns auf dem Halbkontinent ausgebreitet: «Das Wohlergehen von Konsumenten und Mitarbeitern steht an erster Stelle dieser Grundsätze von Nestlé. Menschen sind das Rückgrat des Unternehmens.» Gerade im Bürgerkriegsland Kolumbien «haben wir nach Konsultationen sowohl mit den Behörden als auch mit den Gewerkschaften grosse Anstrengungen unternommen, unsere Gewerkschaftsführer, Arbeiter und Manager zu schützen», schreibt Juan Carlos Marroquín, damals Marktchef für die bolivarische Region (Kolumbien, Venezuela und Ecuador).

Auch Konflikte werden in dieser Broschüre nicht aus?ge?spart: «Wir sind uns bewusst, dass die Nationale Gewerkschaft für die Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie mit dem Ausgang der Ereignisse in unserer Fabrik in Valledupar nach wie vor unzufrieden ist, deren Restrukturierung wir 2003 beschlossen hatten, damit der Betrieb weiterhin wirtschaftlich tragfähig ist», schreibt Marroquín. 191 MitarbeiterInnen der Nestlé-Fabrik Cicolac wurden damals entlassen und abgefunden – die gesamte Belegschaft bis auf einen, der sich weigerte, seiner Entlassung zuzustimmen. «Daraufhin konnte die Fabrik gerettet und die Arbeiter im Rahmen einer neuen Lohnstruktur weiterbeschäftigt werden, nach der die Rentabilität gewährleistet ist.» Dass sich Nestlé mit dieser Massenentlassung der Gewerkschaft Sinaltrainal in Valledupar entledigte und dass der Konflikt mit dem Mord am Gewerkschaftsführer Luciano Romero endete, erwähnt der Marktchef nicht.

Der Konflikt in Valledupar begann Anfang 2002. Die knapp eine halbe Million EinwohnerInnen zählende Stadt in der Provinz Cesar im Norden von Kolumbien liegt in einem weiten Tal zwischen der Andenkette im Osten und der Sierra Nevada im Wes?ten, knapp hundert Kilometer von der karibischen Küste entfernt. Vierzig Kilometer weiter im Westen kommt die Grenze zu Venezuela. Die Stadt Valledupar ist nach dem indianischen Kaziken Upar benannt, der einst über dieses Tal herrschte. Seine Nachfahren sind von Viehzüchtern längst in die Hochlagen der Sierra Nevada abgedrängt worden. Dort oben ziehen noch heute immer wieder Verbände der beiden Guerillaorganisationen ELN (Nationales Befreiungsheer) und Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) vorbei. Die Talebene war 2002 fest im Griff der rechten Paramilitärs von den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC). Viele der grossen Viehzüchter der Gegend gehörten in den achtziger Jahren mit zu den Gründern dieser illegalen Truppe, die für unzählige Massaker an Zivilisten verantwortlich ist. Etliche der Grossgrundbesitzer – unter anderem der damalige Provinzgouverneur – sitzen heute deshalb in Haft. Zumindest mit zweien der Verurteilten pflegte die Nestlé-Fabrik Cicolac enge geschäftliche Beziehungen.

Valledupar ist keine attraktive Stadt. Es gibt kein historisches Zentrum mit Kolonialbauten, keine grossen Einkaufsstrassen. Ein Quadrat aus ein- und zweigeschossigen Häusern reiht sich ans nächste. Eine klassische lateinamerikanische Stadt, gebaut wie ein Schachbrett; ein bisschen verschlafen wegen der tropischen Hitze. Valledupar lebt vom Handel und Schmuggel mit Venezuela und von der Viehzucht. Achtzig Prozent der arbeitenden Bevölkerung schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durchs Leben. Das Milchpulverwerk von Nestlé ist eine der wenigen Fabriken in der Stadt. Der weiss gestrichene Komplex liegt am Stadtrand an einer Ausfallstrasse, gleich dahinter beginnen die ersten Hügel der Sierra Nevada. Dort ist der Friedhof der Diözese, auf dem Luciano Romero begraben liegt.

192 fest angestellte Beschäftigte hatte die Milchpulverfabrik Anfang 2002. Dazu kamen zwischen 70 und 300 ZeitarbeiterInnen, je nach Saison. In der tropischen Trockenzeit geben die Kühe weniger Milch, also gab es bei Cicolac weniger zu tun. Gearbeitet wurde in drei Schichten rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche. Die ArbeiterInnen waren privilegiert. Nicht nur, weil sie einen festen Arbeitsplatz hatten. Sie verdienten rund das Dreifache der landesüblichen Löhne und bekamen zusätzliche Sozialleistungen wie medizinische Versorgung für die Familie, Stipendien für die Ausbildung und Kredite für den Kauf einer Wohnung. Anfang 2002 kündigte Nestlé diesen Tarif?vertrag. Am 28. Februar konterte die Gewerkschaft Sinaltrainal mit einem Forderungs?katalog. Die Firma wollte die Kosten senken: weniger Lohn, weniger Sozialleistungen, die Auflösung der medizinischen Versorgung im Werk. Sinaltrainal verlangte dagegen eine Anpassung der Löhne an die Inflationsrate.

Das kolumbianische Arbeitsrecht sieht zunächst eine Frist von zwanzig Tagen für Verhandlungen vor, die mit beiderseitigem Einverständnis verlängert werden kann. «Wir wollten verlängern», erinnert sich Osvaldo Silva, damals der Vorsitzende von Sinaltrainal in Valledupar. «Aber die Firma wollte es nicht, und so sind die Verhandlungen am 2. April gescheitert.» Am 12. April 2002 beschloss Sinaltrainal zu streiken. Die Gewerkschafter wussten, dass das gefährlich war. «Alle grossen Milchlieferanten von Cicolac finanzierten die Paramilitärs», sagt Silva. Die Milchlieferanten hingen von Nestlé ab. Nestlé erwog, Cicolac wegen zu hoher Arbeitskosten zu schliessen, und drohte damit auch den Lieferanten.

Bei einer Protestveranstaltung der Gewerkschaft vor dem Firmengelände kurz nach dem Streikbeschluss kamen die Paramilitärs. «Wir hatten ein Zelt aufgebaut», erinnert sich Silva. «Die Paras umkreisten es mit ihren Autos; Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben und ohne Nummernschilder.» Es gab Todes?drohungen. Die örtliche Presse berichtete, die illegale Truppe habe Cicolac-Arbeitern angekündigt, sie müssten im Fall eines Streiks «im Himmel arbeiten». Am 27. April wurde der Streikaufruf zurückgezogen. Sinaltrainal beschränkte sich auf Protestkund?gebungen vor dem Werksgelände und gelangte an die Schlichtungskommission.

Bei einer dieser Protestkundgebungen am 12. Juli 2002 rief der Personalchef von Cicolac das Arbeitsministerium zu Hilfe: In seinem Werk gebe es einen illegalen Streik. Tatsächlich stellte die Inspektorin Benilda Torres Infante einen «teilweisen Streik» im Bereich des Lagers fest. Dort wurde das Milchpulver in grossen Säcken auf Lastwagen verladen. Allerdings nicht von Nestlé-Arbeitern, sondern von Tagelöhnern, die von den Transportunternehmen bezahlt wurden. Einer dieser Lastenschlepper hatte der Inspektorin erzählt, er habe wegen der Kundgebung vor dem Werk das Fabrikgelände nicht betreten können. Ihr Bericht wurde erst Wochen später ans Arbeitsministerium weitergereicht.

Im Juli 2002 war Präsident Andrés Pastrana die letzten Tage im Amt. Im Arbeitsministerium sassen gewerkschaftsfreundliche Leute. Sein Nachfolger, der unternehmerfreundliche Álvaro Uribe, war schon gewählt. Am 7. August trat er die Präsidentschaft an. Er ernannte Luz Stella Arango, vorher Anwältin der Nestlé-Fabrik Comestibles La Rosa, zur Vizeministerin für Arbeit und soziale Sicherheit als Teil des Gesundheitsminis?teriums. Arango wiederum machte Ludmila Florez, ehemals Direktorin für industrielle Beziehungen bei Cicolac und Comestibles La Rosa, zur Direktorin der Abteilung für Arbeit, von der die Arbeitsinspektoren abhängen. Am 11. Oktober 2002, also drei Monate nach der Inspektion in Valledupar, erliess das Ministerium den Beschluss mit der Nummer 1650, in dem für den 12. Juli ein «teilweiser illegaler Streik» bei Cicolac konstatiert wurde. Das Ministerium stellte es der Firma frei, «alle Arbeiter zu entlassen, die sich nach dem Bekanntwerden seiner Illegalität weiterhin an dem Streik beteiligen». Nestlé nahm diesen Beschluss zum Anlass, am 22. Oktober neun Sinaltrainal-Gewerkschafter zu entlassen. Sechs der Entlassenen gehörten dem örtlichen Vorstand an, darunter der Vorsitzende Osvaldo Silva und der für Menschenrechtsfragen zuständige Luciano Romero.

Romero war kein klassenkämpferischer Heisssporn. «Es lag ihm nicht, Reden vor den Kollegen zu halten», sagt Silva. «Er war eher zurückhaltend und still und tat im Hintergrund das, was zu tun war.» Ausser in der Gewerkschaft engagierte er sich beim Solidaritätskomitee für politische Gefangene. Er besuchte Gewerkschafter im Gefängnis, denen vorgeworfen wurde, sie arbeiteten für eine der beiden Guerillaorganisationen. Er besuchte auch gefangene Guerilleros, um sicherzustellen, dass deren Rechte respektiert wurden. Nach seiner Entlassung ging er für ein gutes Jahr in die Hauptstadt Bogotá und arbeitete dort im Büro des Solidaritäts?komitees. In Kolumbien ist es angebracht, nach einer solchen Entlassung aus einer Gegend zu verschwinden, die fest im Griff von Paramilitärs ist. Zumal Romero nach Recherchen der Menschenrechtsanwälte vom ECCHR von Cicolac-Managern öffentlich als Guerillero diffamiert worden war. In Kolumbien ist das die übliche indirekte Art, Paramilitärs zum Mord am Angeschwärzten aufzufordern.

«Er hat mir nie gesagt, dass er damals Todesdrohungen auf sein Mobiltelefon bekommen hat», erzählt seine Witwe Ledys Mendoza. «Er wollte nicht, dass ich mir Sorgen mache.» Kollegen von ihm haben ihr das später erzählt. An den Wochenenden kam Romero oft nach Valledupar, manchmal fuhr Ledys mit den drei Töchtern nach Bogotá. «In den Schulferien nahm er die beiden Kleinen mit. Sie hingen sehr an Luciano und er an ihnen.» Als ihr Vater starb, waren die Mädchen acht und zehn Jahre alt, die Äl?tes?te war sechzehn und steckte in den Vorbereitungen zum Abitur.

Der Konflikt in der Milchpulverfabrik Cicolac war mit der Entlassung der neun Gewerkschafter noch lange nicht beendet. Das von Sinaltrainal angerufene Schiedsgericht, bestehend aus einem Vertreter des Ministeriums für soziale Sicherheit und je einem Anwalt der Gewerkschaft und des Arbeitgebers, entschied später zu Gunsten von Nestlé. Der Gewerkschaftsanwalt hatte schnell sein Mandat niedergelegt, weil er ein abgekartetes Spiel vermutete. Die beiden anderen gestanden Cicolac zu, die Löhne um bis zu fünfzig Prozent zu senken, die Abfindungen und den Fonds für Wohnungsbaukredite zu kürzen und die medizinische Versorgung abzuschaffen.

Für den 17. September 2003 lud die kolumbianische Nestlé-Zentrale in Bogotá den neuen Sinaltrainal-Vorstand aus Valledupar zu einer Diskussion über den Schiedsspruch ein. Während die Gewerkschaftsführer in der fast tausend Kilometer entfernten Hauptstadt debattierten, wurden die Cicolac-ArbeiterInnen in Bussen in zwei Hotels und den Country Club von Valledupar gefahren und dort von der Betriebsleitung mit ihrer Kündigung konfrontiert. Cicolac werde verkauft, hiess es. 81 ArbeiterInnen mit Zeitverträgen waren schon vorher entlassen worden.

191 der 192 Beschäftigten stimmten am selben Tag ihrer Entlassung und den damit verbundenen Abfindungen zu. Nur einer nicht: Alfonso Barón, damals landesweiter Generalsekretär von Sinaltrainal. Man richtete dem ehemaligen Maschinenführer sogar einen Arbeitsplatz ein, in einem Raum, der aussieht wie eine Garage und ein paar hundert Meter von der Fabrik entfernt ist. «Ich musste dort ab und zu Präsenz zeigen», sagt er. Arbeit aber gab es nicht. Meist ist Barón ohnehin für Gewerkschaftsarbeit freigestellt und im Hauptsitz von Sinaltrainal in Bogotá. Das Milch?pulverwerk darf er nicht mehr betreten. Das wurde verkauft an Dairy Partners Americas, kurz DPA, ein Joint Venture, an dem Nestlé und der neuseeländische Milchkonzern Fonterra je zur Hälfte beteiligt sind. Nichts an der Aussenfassade des Werks weist mehr auf Nestlé oder Cicolac hin.

«Von Fonterra habe ich hier noch nie jemanden gesehen», sagt Walberto Quintero, Sekretär der Sektion Valledupar von ?Sinaltrainal. «Alle Marken, die wir produzieren, sind Nestlé-Marken. Nestlé bezahlt uns. Und selbst meine dienstliche E-Mail-Adresse endet ebenfalls auf co.nestle.com.» Das Werk sei keinen einzigen Tag stillgestanden. Auch nicht an jenem 17. September 2003. «Die haben schon Wochen vorher angefangen, neue Leute einzustellen.» Unter anderem ihn. Allerdings zu ganz anderen Bedingungen: Die Löhne von DPA liegen bei ungefähr einem Drittel derer von Cicolac, zusätzliche Sozialleistungen gebe es so gut wie gar nicht mehr. Trotzdem sei es schwer gewesen, die Kollegen zu organisieren. «Wir brauchten über ein Jahr, um wieder einen Fuss in die Fabrik zu bekommen», sagt Quintero. Auch heute sind erst ein paar Dutzend DPA-Arbeiter Mitglied bei Sinaltrainal. Bei Cicolac waren fast alle organisiert. «Die Kollegen haben Angst.» Wenn sie sich organisieren, dann lieber bei einer der beiden unternehmerfreundlichen Gewerkschaften, die es inzwischen in der Firma gibt.

Luciano Romero engagierte sich auch nach seiner Entlassung weiter für Sinaltrainal. Nach einem guten Jahr kehrte er aus Bogotá nach Valledupar zurück und arbeitete am Tag ehrenamtlich in der Verwaltung einer von seiner Gewerkschaft betriebenen Schule. Zusammen mit seiner Frau nahm er einen Kredit auf und kaufte ein Taxi. Am Tag war damit ein angestellter Fahrer unterwegs. Der Gewinn reichte gerade, um den Kredit zu bedienen. Abends und nachts fuhr Romero selbst und verdiente damit den Unterhalt seiner Familie. «Er begann um sechs mit der Arbeit», erzählt seine Witwe. Manchmal kam er schon um neun nach Hause, manchmal erst um Mitternacht. «Seine Kollegen haben ihn gewarnt, gerade die Nachtstunden seien gefährlich. Aber er sagte, er passe auf sich auf.» Seine Gewerkschaftsarbeit spielte sich eher im Hintergrund ab. Trotzdem war er in ein Schutzprogramm der Interamerikanischen Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten aufgenommen worden. Der kolumbianische Staat wurde von dieser Kommission aufgefordert, besondere Massnahmen zu ergreifen, um die Unversehrtheit von Romeros Leib und Leben zu garantieren.

Doch die Todesdrohungen hörten nicht auf. Romero wurde deshalb auf Antrag seiner Gewerkschaft und des Solidaritätskomitees für politische Gefangene in ein Menschenrechtsprogramm der spanischen Provinz Asturien aufgenommen, das Verfolgten politisches Asyl auf Zeit gewährt. Von November 2004 bis April 2005 war er in Spanien in Sicherheit. «Erst vor seiner Abreise hat er mir gesagt, dass sein Leben in Gefahr war», sagt seine Witwe.

Nach seiner Rückkehr bereitete er sich mit Anwälten auf seine Rolle als Zeuge vor dem Permanenten Tribunal der Völker vor. Die staatenunabhängige Organisation versteht sich als Nach?folgerin des sogenannten Russell-Tribunals, bei dem 1967 in Stockholm und Kopenhagen die Kriegsverbrechen der USA in Vietnam verurteilt worden waren. Das aus internationalen RechtsexpertInnen, SchriftstellerInnen und anderen Intellektuellen zusammengesetzte Tribunal stützt sich in seinen Erörterungen auf die Internationale Menschenrechtserklärung und auf die Uno-Erklärung der Rechte indigener Völker. Bei der Sitzung am 29. und 30. Oktober 2005 in Bern wurde über Machenschaften internationaler Konzerne verhandelt. Unter anderem ging es um Nestlé.

Heute weiss man, dass Romeros E-Mail-Verkehr mit dem Tribunal und mit seinen Anwälten vom staatlichen kolumbianischen Geheimdienst DAS überwacht wurde. Das kam eher zufällig heraus, am Rand eines Spitzelskandals, bei dem es in erster Linie um die illegale Überwachung der Telefone von OppositionspolitikerInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen ging. Eigentlich war der DAS unter anderem für den Schutz gefährdeter GewerkschafterInnen zuständig. Inzwischen aber ist gerichtlich erwiesen, dass die Geheimagenten Listen mit den Namen von zu schützenden Personen angelegt und diese an Paramilitärs weitergereicht hatten. Weil bei einer Durchsuchung der DAS-Zentrale solch brisante Dokumente auftauchten, ordnete Präsident Uribe im September 2009 an, den Geheimdienst aufzulösen.

Agenten des DAS waren es auch, die in Valledupar die Paramilitärs über die Aktivitäten Romeros auf dem Laufenden hielten. Einer dieser Paramilitärs mit dem Namen José Antonio Ustariz kontaktierte den Gewerkschafter bereits sechs Wochen vor dem Mord. Er sei von seinem Land vertrieben worden und wolle sich vom Solidaritätskomitee juristisch beraten werden, behauptete er. Bei der Gerichtsverhandlung stritt Ustariz dies zwar ab. Die Anruflisten der Mobiltelefone von ihm und Romero beweisen aber, dass in den Wochen vor dem Mord mehrere Anrufe hin- und hergingen. Romero schöpfte also keinen Verdacht, als Ustariz am Abend des 10. September 2005 gegen 19.30 Uhr sein Taxi anhielt.

Ustariz liess sich an den Stadtrand fah?ren, auf eine Finca gleich hinter der Militärgarnison. Dort wartete «Jimmy», der mit richtigem Namen Jhon Jairo Fuentes ?heisst und Chef einer Todesschwadron der Paramilitärs war. Romero wurde auf einen Stuhl gefesselt und verhört. Im Prozess behaupteten die Peiniger, der Gefangene sei Mitglied der Guerillaorganisation ELN gewesen und hätte dies im Verhör gestehen sollen. Romero aber habe nicht gestanden. «Jimmy» habe deshalb angeordnet, ihn mit Messern umzubringen.

Der Richter erachtete diese Erzählung in seinem Urteil als reine Schutzbehauptung. Die angeklagten Paramilitärs hatten versucht, das Regierungsprogramm «Justicia y Paz» (Gerechtigkeit und Frieden) in Anspruch zu nehmen. Das Programm sieht eine Teilamnestie für demobilisierte Mitglieder illegaler Truppen vor, wenn diese mit der Justiz zusammenarbeiten. Wäre Romero ELN-Kämpfer gewesen, hätte der Mord nicht als Verbrechen an einem Zivilisten gegolten, sondern als eines, das im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen wurde. Die Mörder wären dann mit höchstens acht Jahren Haft davongekommen.

Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst zum Teil absurde Theo?ri?en verfolgt. Weil Romeros Taxi verschwunden war, ging sie zunächst von ?einem Raubmord aus. Später glaubte sie wegen ?einer angeblichen Frauengeschichte Romeros an einen Mord aus Leidenschaft. Und es hiess, die Familie des Ermordeten habe eine Lebensversicherung kassieren wollen, die freilich niemals abgeschlossen worden war. Dann wurde am 31. Dezember 2005 wegen eines anderen Mordfalls die Autowerkstatt von Julio Elías Olivella durchsucht. Dabei fanden die Ermittler zufällig drei Türen von Romeros Taxi. Olivella, ein ehemaliger Paramilitär mit dem Decknamen «El Barba» (der Bart), erklärte, sein Schwiegersohn Jhonatan Contrera habe ihm die Türen gebracht und gesagt, sie kämen von «Jimmy». Offenbar sollte der Wagen in Einzelteilen verkauft werden.

Contrera wiederum ist bei den Paramilitärs als «José» oder «El Niño» (das Kind) bekannt. In der Nacht, als Romero zu Tode gefoltert wurde, hatte er am Tor der Finca Wache gestanden. Er packte bei seiner Verhaftung sofort aus, um die Ver?güns?ti?gun?gen des Programms «Justicia y Paz» in Anspruch nehmen zu können. In der Folge fiel ein Täter nach dem anderen in die Hände der Polizei.

Sie könnten unmöglich aus eigenem Antrieb gehandelt haben, stellte Richter José Nirio Sánchez in seinem Urteil fest: «Es ist klar bewiesen, dass der Mord an dem Gewerkschaftsführer und Menschenrechtsverteidiger Luciano Romero nicht nur auf Initiative von Jhon Jairo Fuentes alias ‹Jimmy› ausgeführt wurde.» Dieser habe seine Weisungen vom Chef der Paramilitärs in der Provinz Cesar bekommen, einem Mann mit dem Namen Rodrigo Tovar Pupo, der unter dem Decknamen «Jorge 40» gefürchtet war. Das Urteil trägt der Staatsanwaltschaft auf, Ermittlungen gegen «Jorge 40» und auch gegen das Management von Nestlé-Cicolac aufzunehmen.

Als dringende Verdachtsmomente dafür, dass Führungskräfte von Nestlé Kolumbien in den Mord verwickelt sein könnten, nennt das Urteil zum einen die Tatsache, dass sich Romero zum Zeitpunkt des Mords als Zeuge auf eine Aussage gegen den Lebensmittelkonzern vor einem internationalen Tribunal vorbereitete. Zum anderen erwähnt es, dass zuvor schon die Cicolac-Arbeiter und Sinaltrainal-Gewerkschafter Victor Mieles (1999), Alejandro Hernández (1996), Toribio de la Hoz (1996) und Harry Laguna (1993) unter ähnlichen Umständen im Zusammenhang mit Arbeitskämpfen ermordet worden waren. Auch ein Brief vom 7. Juni 2007, in dem sich Carlos Velez, der damalige Nestlé-Sicherheitschef für Amerika, an die Staatsanwaltschaft wandte, wird zu Lasten des Konzerns ausgelegt. Velez hatte erfahren, dass die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zum Fall Romero einen Bericht veröffentlichen wollte, und befürchtete, dass Nestlé in diesem Zusammenhang genannt werden könnte. «Die Wirkung dieses Berichts, sollte er von Amnesty International veröffentlicht werden, wird Auslandsinvestitionen in Kolumbien genauso beeinträchtigen wie ganz offensichtlich die Reputation der Firma, für die ich arbeite», schrieb er. Kolumbianische Staatsanwälte müssen so einen Brief als Aufforderung verstehen, Nestlé bei den Ermittlungen zu übersehen. Hieb- und stichfeste Beweise freilich sind das nicht.

«Immerhin ist klar, dass Nestlé vom Mord an Luciano Romero profitiert hat», sagt der Menschenrechtsanwalt Alirio Uribe. Mehr als eine solche Feststellung, sagt er, sei bei Morden an Gewerkschaftern so gut wie nie möglich. Uribe war zwar nicht selbst am Prozess beteiligt, hat aber Dutzende vergleichbarer Fälle untersucht. Das Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo, in dem er arbeitet, «ist so etwas wie die Notaufnahme für die grausamsten Verbrechen des Bürgerkriegs», wie er sagt. Auch Uribes Name wurde schon von Geheimdienstlern an eine paramilitärische Todesschwadron weitergereicht. Das geplante Attentat gegen ihn flog rechtzeitig auf.

Morde wie der an Romero bleiben in aller Regel un?ge?sühnt, weiß der Anwalt. In den ganz wenigen Fällen, in denen es zu Urteilen kam, wurden nur die direkten Täter bestraft. Die Auftraggeber bleiben stets im Dunkeln. «Es ist ja nicht so, dass der Chef einer Firma mit einem Bündel Geld in der Hand zu einem Paramilitär geht und sagt: Bring mir diesen und jenen Gewerkschafter um.»

Es ist bislang nur ein Fall bekannt, in dem ein Konzern eingestanden hat, Paramilitärs finanziert zu haben: Der Früchtekonzern Chiquita Brands International gab zu, den Ver?einig?ten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) zwischen 1997 und 2004 insgesamt rund 1,7 Millionen US-Dollar gegeben zu haben. Am 15. März 2007 schloss die in Cincinnati (Ohio/USA) beheimatete Firma mit dem US-Justizministerium einen Vergleich ab und bezahlte ein Bußgeld von 25 Millionen Dollar. Ein Urteil wäre für Chiquita teurer geworden. Die AUC wurden damals von der US-Regierung als «terroristische Vereinigung» geführt.

Auch Nestlé-Cicolac soll die Paramilitärs finanziert haben. Das zumindest behauptet Salvatore Mancuso, der letzte höchste Chef der AUC. Er hatte mit Präsident Álvaro Uribe das Amnestieprogramm «Justicia y Paz» ausgehandelt und sich am 16. August 2006 den Behörden gestellt. Bei seiner Anhörung vor einem für dieses Programm eingerichteten Sondergericht ging es am Vormittag des 17. Mai 2007 um die Geldgeber der Paramilitärs. Ohne nach konkreten Firmen gefragt zu werden, nannte Mancuso eine ganze Reihe von Namen, unter anderem Chiquita, aber auch Cicolac.

Mancuso kam nicht in den Genuss des von ihm ausgehandelten Teilamnestieprogramms. Denn außer seinen eigenen Verbrechen nannte er bei der Vernehmung auch seine Mittelsleute in der Politik. Er und sein direkter Untergebener «Jorge 40» lösten mit ihren Aussagen und Computeraufzeichnungen in Kolumbien den sogenannten Parapolítica-Skandal aus. Über hundert Parlamentarier, Gouverneure und Bürgermeister sitzen inzwischen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Paramilitärs in Haft. Die allermeisten von ihnen waren Verbündete des damaligen Präsidenten Uribe. Mancuso und «Jorge 40» wurden, bevor sie noch mehr plaudern konnten, am frühen Morgen des 13. Mai 2008 in einem Überraschungscoup zusammen mit zwölf weiteren Paramilitärchefs in die USA deportiert. Dort wurden sie wegen Drogenhandels gesucht.

Nach einem Bericht der kolumbianischen Tageszeitung «El Espectador» hat Mancuso im April 2009 bei einer Anhörung in Washington Cicolac noch einmal als Geldgeber der AUC benannt. Seit Ende September 2009 schweigt er. Er fühle sich von der kolumbianischen Justiz hintergangen und werde nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten.

Nestlé weist die Finanzierungsvorwürfe entschieden zurück. Fragen zu diesem Themenkomplex, hieß es im Herbst 2009 an der Pressestelle in Bogotá, möge man bitte direkt und schriftlich an Adriana Peña richten, die damals im Vorstand von Nestlé Colombia für «korporative Angelegenheiten» verantwortlich war. Die Antwort auf dort eingereichte Fragen kam nicht aus Kolumbien, sondern von Melanie Kohli, damals Konzernsprecherin in der Zentrale in Vevey in der Schweiz: «Nestlé nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Täter des Mordes an Luciano Romero vor Gericht gebracht worden sind. Gleichzeitig ist der Konzern darüber betroffen, dass die Staatsanwaltschaft in Bucaramanga angewiesen worden ist zu ermitteln, ob Nestlé-Manager in dieses Verbrechen verwickelt sein könnten. Nestlé wird wie immer in vollem Umfang mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten und keine weiteren Kommentare abgeben, solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist. Nestlé weist kategorisch alle Behauptungen zurück, die versuchen, den Konzern mit dem Mord an Luciano Romero in Verbindung zu bringen, und wird seinen Ruf energisch verteidigen.» Da die Ermittlungen gegen die kolumbianischen Nestlé-Manager nicht vorankommen, waren weitere Stellungnahmen nicht nötig. Auf die Frage nach der Finanzierung der Paramilitärs schrieb Kohli nur einen Satz: «Nestlé weist diese Behauptungen kategorisch zurück.» Die Nachfrage, wie man sich erkläre, dass Mancuso freiwillig und ohne danach gefragt zu werden zweimal Cicolac als Geldgeber erwähnt hat, bleibt unbeantwortet.

Anwalt Uribe geht davon aus, dass das Verfahren gegen die Nestlé-Manager nie mit einem Urteil enden wird. «Man kann sagen, dass Luciano Romero ermordet wurde, weil er Gewerkschafter war, und dass die Firma etwas damit zu tun hat», sagt er. «Aber ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass ein leitender Angestellter zu vierzig Jahren Haft verurteilt wird, wie das nach dem Strafgesetzbuch eigentlich sein müsste.» Die jetzt eingereichte Anzeige in Zug ist ein Versuch zu klären, ob Nestlé für den Mord an Romero doch eine strafrechtliche Veranwortung trifft.

Luciano Romeros Witwe Ledys Mendoza ist alt geworden in den Jahren seit dem Mord. Luciano hatte sie, als er noch lebte, liebevoll «mi gorda» genannt, «meine Dicke». Heute ist sie abgemagert und wirkt viel älter als ihre 49 Jahre. Die ersten Monate nach dem Tod ihres Mannes überlebten sie und die Kinder mit Spenden aus Spanien und vom Solidaritätskomitee. Dann lief Romeros bescheidene Rente an. «Er hatte auch nach seiner Entlassung freiwillig weiter einbezahlt.» Zusätzlich kochte Mendoza Essen zum Verkauf. Dann wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert. Die Operation, die Chemotherapie und die Bestrahlungen bezahlte die Krankenkasse. «Der Arzt sagte mir danach, ich dürfe nicht mehr kochen.» Das Geld wurde knapp. Die älteste Tochter musste ein Jahr vor dem Examen ihr Jurastudium abbrechen, weil die Mutter die Universitätsgebühren nicht mehr bezahlen konnte. Von Nestlé hat Ledys Mendoza nie etwas gehört. «Kein Wort des Bedauerns. Nichts.»

März 2012


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