Weil die über zwanzig Millionen Bewohner mehr Grundwasser verbrauchen, als nachsickern kann, wird der Untergrund instabil. Fast alle Megastädte leiden unter diesem Phänomen. Von Toni Keppeler und Laura Nadolski.
Zuletzt schüttete es am 26. August wie aus Kübeln. Straßen wurden abgesperrt, manche standen bis zu einem Meter unter Wasser. Der Verkehr stand still. Die Bewohner von Mexiko-Stadt sind so etwas gewohnt. Der Juli und der August sind die Monate der Überschwemmungen. Selbst jetzt, da die Stadt seit über drei Jahren unter einer Dürre leidet und in vielen Stadtteilen das Trinkwasser rationiert ist. Aber wenn es dann einmal zu einem Wolkenbruch kommt, sind Überflutungen fast unumgänglich. Das liegt am Untergrund der Megastadt. Er ist so instabil, dass es zu Absenkungen und Brüchen kommt. In Abwasserleitungen, die einmal ein Gefälle hatten, müsste das Wasser heute bergauf fließen, und weil es das nicht kann, kommt es zu einem Rückstau.
Auch das gegenteilige Phänomen kommt immer wieder vor: dass Wasser einfach verschwindet. In größerem Stil geschah das zuletzt um zwei Uhr in der Nacht zum 27. Januar 2017 im touristischen Teil des Feuchtgebiets von Xochimilco im Süden der Stadt. Ein Nachtwächter war der erste, der es gehört hat: Ein Geräusch wie lautes Schlürfen und Gurgeln. »Es war, als habe man den Stöpsel aus einer gigantischen Badewanne gezogen«, erinnert sich Angel Cristobal, der tagsüber ein Floß für Touristen mit einer langen Stange durch die Kanäle von Xochimilco stakt. »Es war ein gewaltiger Strudel, der alles verschluckt hat.« Auf dem Grund eines Kanals hatte sich ein Loch aufgetan, zwei mal drei Meter groß, und darunter einen über einen Kilometer in die Tiefe reichender Schlund, der in einem fast leeren natürlichen Wasserspeicher endete. Dort war ein gewaltiger Unterdruck entstanden, und der hatte, wo es am wenigsten Widerstand gab, ein paar Quadratmeter Kanalgrund in die Tiefe gerissen. Sieben Stunden brauchten Arbeiter, um das Loch zu isolieren. In dieser Zeit war der Wasserspiegel in dem über 150 Kilometer langen Kanalsystem, das schon von den Azteken angelegt worden war, um einen halben Meter gesunken. Es dauerte fast ein Jahr, bis er wieder sein vorheriges Niveau erreicht hatte.
Schon vorher hatte es immer wieder Löcher im Kanalsystem gegeben. Nur war keines so spektakulär wie das vom 27. Januar 2017. Und der Boden wird sich wieder auftun, nicht nur in Xochimilco. Mexiko-Stadt ist auf unsicherem Grund gebaut. Dort, wo sich heute mehr als zwanzig Millionen Menschen drängen, war einst eine riesige Seenplatte, rund doppelt so groß wie der Bodensee. Als die Spanier 1521 Tenochtitlán, die Hauptstadt der Azteken, erobert hatten, begannen sie damit, diese Seen trocken zu legen. Das Feuchtgebiet von Xochimilco ist ein kümmerlicher Rest von dem, was einst dort war. Der größte Teil des Untergrunds besteht deshalb aus weichen und feuchten Tonerden, die von Schichten aus Sand und anderen Ablagerungen durchzogen sind. Zusammen können sie mehr als fünfzig Meter stark sein. Die Tonerden selbst nehmen kaum Wasser auf. Was versickert, sammelt sich in den Schichten dazwischen. Diese natürlichen Wasserspeicher halten nicht nur die Tonschichten feucht. Sie können angebohrt werden, um Frischwasser zu gewinnen.
Es gab auch Inseln in der einstigen Seenplatte, aus harten vulkanischem Basalt. Weil dieses Gestein viele kleine Gasblasen enthält, ist es porös. Wasser kann versickern und in tiefe unterirdische Speicher gelangen. Der Schlund von Xochimilco endete in einem solchen. Und schließlich gibt es noch Übergangszonen zwischen diesen beiden Typen von Untergrund.
Wenn mehr Grundwasser im Gebiet der ehemaligen Seen gefördert wird, als im Gegenzug versickert, werden die Wasser führenden Ablagerungsschichten kompakter, die Tonschichten trocknen aus und schrumpfen. Der Wasserdruck im Untergrund nimmt ab, es entsteht ein Unterdruck. In der Folge gibt die Oberfläche nach und senkt sich.[1] Tatsächlich wird schon lange mehr Grundwasser gefördert, als auf dem Weg der Versickerung wieder zuzrückkommt. Nur drei Viertel der bekannten unterirdischen Wasserspeicher werden auf natürlichem Weg wieder aufgefüllt. Ein Viertel trocknet langsam aus.[2] Der zunehmende Verbrauch von Grundwasser ist der hauptsächliche Grund dafür, dass die Stadt absinkt.
Am schlimmsten war es im Zeitraum von 1947 bis 1957, als die Bevölkerung von Mexiko-Stadt explodierte und es noch Tiefbrunnen im Zentrum gab. In diesem Jahrzehnt sackte die Gegend rund um die Kathedrale um 29 Zentimeter pro Jahr ab. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist Mexiko-Stadt um durchschnittlich rund zehn Meter gesunken, in einzelnen Gegenden sogar um über dreizehn Meter. Heute senken sich die Kathedrale und andere Areale im Zentrum noch immer mit einer Geschwindigkeit von zehn Zentimetern pro Jahr.[3] In Xochimilco, wo die meisten Tiefbrunnen gebohrt wurden, gibt es sogar Gebiete, die um bis zu vierzig Zentimeter im Jahr absacken.[4]
In fast allen Megastädten der Welt gibt der Boden nach, aber kaum irgendwo ist es so dramatisch wie in Mexiko-Stadt. Die hauptsächliche Ursache ist überall die selbe: Es wird zuviel Grundwasser verbraucht. Wenn solche Metropolen an der Küste liegen, können auch wenige Zentimeter fatal sein. Mit dem Klimawandel nämlich steigt der Meeresspiegel an. Der Effekt der Absenkung wird durch diese Gegenbewegung verstärkt. Genauso kann die natürliche sogenannte Sedimentkompaktion eine verstärkende Wirkung haben. Sie führt zu Absenkungen, wenn abgelagerte Sedimente im Untergrund durch das eigene Gewicht immer kompakter werden.
So sind in den vergangenen zehn Jahren Teile von New York um drei Zentimeter gesunken. Das klingt auf den ersten Blick vernachlässigbar. Aber New York leidet schon jetzt unter regelmäßigen Überflutungen und hat für viele Millionen US-Dollar entlang des East River ein fast vier Kilometer langes Hochwasserschutzsystem aus Dämmen und Schleusen errichtet, um wenigstens einen Teil der Infrastruktur vor Flutschäden zu schützen. Und doch sagen Klimatologen voraus, dass man in fünfzig Jahren Manhattan nur noch mit Booten befahren kann.
Die gesamte Ostküste der USA ist vom Phänomen des Absinkens betroffen. Meist sind es weniger als zehn Zentrimeter pro Jahr, in Miami in Florida nur 1,5 Zentimeter. Aber auch die spielen eine Rolle. Mit dem Klimawandel steigt nicht nur der Meeresspiegel an; tropische Stürme, die man früher fast nur in der Karibik und im Golf von Mexiko kannte, ziehen immer weiter in den Norden. Sie bringen nicht nur enorme Regenmassen, sondern peitschen auch das Meer zu hohen Wellen auf, die dann die sinkenden Städte mit Sturmfluten bedrohen.
Ähnliche Probleme wie New York, nur schon jetzt viel dramatischer, hat Jakarta. Die auf der Insel Java am Meer liegende Hauptstadt Indonesiens ist Mittelpunkt eines Städtekonglomerats von über dreißig Millionen Einwohnern. Jedes Jahr sackt sie um durchschnittlich drei Zentimeter ab, in manchen Gegenden sind es bis zu 25 Zentimeter. Auch hier sind das Hauptproblem Brunnen, die die Grundwasserspeicher leeren. Jakarta wurde auf sumpfigem Gelände gebaut. Die Probleme ähneln denen von Mexiko-Stadt, nur dass Jakarta an der Küste liegt und schon heute rund vierzig Prozent seiner Fläche unterhalb des Meeresspiegels liegen. Um das Meer aus der Stadt zu halten, wurde 2014 mit dem Bau einer Betonmauer entlang der Küste begonnen. Bis 2027 soll sie 46 Kilometer lang sein. Ein zweiter Schutzwall von 120 Kilometern Länge wurde von der Regierung bereits angekündigt.[5]
Auch in China lässt der Boden nach. Dortige Wissenschaftler haben festgestellt, dass sechzehn Prozent aller Großstädte um mehr als einen Zentimeter pro Jahr absacken.[6] Bei fast der Hälfte sind es wenigstens drei Millimeter. In Kombination mit dem steigenden Meeresspiegel könnten nach ihren Projektionen in hundert Jahren ein Viertel der Städte an der Küste unterhalb des Meeresspiegels liegen. Die hauptsächliche Ursache des Absinkens ist übermäßiger Grundwasserverbrauch. Der Effekt wird verstärkt durch das Gewicht von Gebäuden und von Infrastruktur wie Straßen oder Bahnlinien und durch menschliche Aktivitäten wie Ölbohrungen oder Kohleminen – eben durch alles, was Hohlräume im Untergrund hinterlässt. In Tianjin etwa, einer Industriemetropole von 6,5 Millionen Einwohnern südöstlich von Bejing, mussten 2023 mehrere Tausend Bewohner aus Hochhäusern evakuiert werden, weil die Straßen davor plötzlich auseinanderbrachen.
Die einzige Methode, das Absinken abzubremsen, besteht darin, den Verbrauch von Grundwasser einzuschränken. In Shanghai wurde dies schon verordnet, und die Stadt sinkt heute tatsächlich langsamer als die meisten anderen chinesischen Großstädte. In Japan wurden so Tokio und Osaka stabilisiert. Andernorts pumpt man Wasser in die leergetrunkenen unterirdischen Speicher, um den Boden darüber wieder fest zu machen. Aber wie soll man im ohnehin schon dürstenden Mexiko-Stadt die Entnahme von Grundwasser begrenzen? Wo Wasser herholen, um die geleerten Grundwasserspeicher wieder zu füllen? Schon jetzt wird im Frühjahr, wenn es am trockensten ist, regelmäßig das Trinkwasser rationiert. Ganze Stadtteile werden seit über einem Jahrzehnt nur noch mit Tankwagen versorgt.
Das Problem der plötzlich aufbrechenden Straßen kennt man auch dort. Wenige Wochen bevor der Schlung von Xochimilco aufbrach, teilte sich keine zwei Kilometer entfernt eine Landstraße. Anwohner erzählen, dass der dabei entstandene Riss so breit und so tief war, dass zwei Kleinbusse darin verschwanden. Es grenze an ein Wunder, dass es keine Toten gegeben habe. Zu solchen Rissen kann es bei großen Spannungen oder Dehnungen im Boden kommen. Sie entstehen zum Beispiel, wenn weicher Ton austrocknet und schrumpft. Die größten und zerstörerischsten Risse sind in aller Regel eine direkte Folge des Absinkens, das vom Abpumpen von Grundwasser verursacht wurde.[7] Wasser und Abwasserleitungen können bersten, U-Bahn-Schächte werden instabil.
Weil es diesen Zusammenhang zwischen Abpumpen und Rissen gibt, ist Xochimilco besonders betroffen. Dort wurden in den vergangenen Jahren vermehrt Brunnen gebohrt. Durch Brüche sind in dem Stadtteil schon über 500 Häuser beschädigt und zum Teil unbewohnbar geworden. Noch schlimmer ist es im benachbarten Iztapalapa. Durch diesen Stadtteil verläuft eine über dreißig Kilometer lange Linie im Untergrund, an der harter Basalt und weiche Tone aneinanderstoßen. Das sorgt für besonders große Spannungen, in der Folge kommt es zu vielen Brüchen. Über 15.000 Häuser wurden dadurch bereits beschädigt oder stürzten ganz ein. Bis zum Jahr 2014 wurden 864 Bruchstellen dokumentiert.[8] Heute dürften es weit über tausend sein.
Man kann mit bloßem Auge sehen, wie Mexiko-Stadt im Erdboden versinkt. Das prominenteste Opfer ist die Kathedrale am Zócalo, dem riesigen Platz im Zentrum der Stadt. Er ist in den vergangenen hundert Jahren um neun Meter gesunken – nicht gleichmäßig, sondern in sanften Wellen mit einem deutlichen Gefälle nach Westen hin. Vom Zócalo aus betrachtet neigt sich der linke Glockenturm der Kathedrale deutlich nach links, der rechte ein bisschen weniger nach rechts. Der westliche Anbau des Tabernakels scheint auf den Vorplatz zu stürzen.
So wuchtig die Kathedrale erscheinen mag, sie war nie stabil. Im Kirchenschiff verläuft keine vertikale Linie parallel zur nächsten, der Boden ist wellig, der Gleichgewichtsssinn wird durch die verwirrenden optischen Eindrücke irritiert. Gläubige mögen das davon hervorgerufene Körpergefühl als heiligen Schauer empfinden. Ungläubigen wird schlicht ein wenig schwindlig. Verlässliche Orientierung geben nur die Kronleuchter die der Schwerkraft folgen, und ein riesiges Senkblei in Silber und Gold, das im Mittelgang des Hauptschiffts hängt. Seine Spitze zeigt auf eine weiße Marmortafel. Auf der dokumentiert eine eingravierte schwarze Linie die Bewegungen des Bodens seit 1573. Man kann darauf klar erkennen, wie sich das Absenken mit der Bevölkerungsexplosion und der massiven Ausbeutung von Grundwasser Mitte des vergangenen Jahrhunderts beschleunigt hat.
Mitte der 1980er-Jahre stand die Kirche so schief, dass der Tabernakelanbau einzustürzen drohte. Die Kathedrale wurde deshalb 1993 bis 1998 in aufwändigen Sanierungsarbeiten untergraben und auf einen Betonsockel gestellt. Doch sie bewegt sich weiter, das dokumentiert die Linie unter dem Senkblei. Die Ingenieure hoffen nun, dass das Gebäude wenigstens gleichmäßig sinke und nicht in Schräglage gerate oder gar auseinanderbreche. Der Boden, der früher einmal Seegrund war, hat ein langes geologisches Gedächtnis. Manchmal scheint es fast so, als wolle er sich rächen.
[1] Siehe Auvinet, Gabriel, Edgar Méndez und Moisés Juárez: Soil Fracturing Induced by Land Subsidence in Mexico City. In: Proceedings of the 18th Internatiopnal Conference on Soil Mechanics und Geotechnical Engeneering, Paris, 2014, S. 2921 – 2924.
[2] Siehe Quinde, Pablo, und Eduardo Reinoso: Subsoil Characteristics of Mexico City, acerleration and hysteretic energy spectra for the Mexico earthquake of spetember 19, 2017. In: Geofísica Internacional 59/4 (2020), S. 235
[3] Siehe Auvinet el al.: Soil Fracturing.
[4] Siehe Voss, S. Randal, M. Ryam Woodcock und Luis Zambrano: A Tale of Two Axolotls. In: BioScience 65/12 (2015), S. 1135.
[5] Siehe Wobei, Das Magazin der WOZ, 18.Juli 2024, S. 31.
[6] Zu China und weiter unten Japan siehe New York Times vom 18. April 2024.
[7] Siehe Auvinat el al.: Soil Fracturing.
[8] Ebd.
September 2025